Der normale Wahnsinn - Roman
mir doch ausdrücklich verboten, und ich hätte es sowieso nicht getan. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass nichts herausgefallen ist.«
Sie antwortet nicht, aber ich kann förmlich spüren, wie sie am anderen Ende vor Wut kocht. Und ich kann spüren, dass sie mir nicht glaubt.
»Ehrlich, Kate.«
»Beten Sie zu Ihrem Schöpfer, dass die Liste irgendwo in meinem Büro rumliegt und dass sie niemandem in die Hände gefallen ist«, presst sie hervor. »Nicht mal der verdammten Putzfrau. Ich muss morgen früh kurz ins Krankenhaus, um nach Cameron zu sehen, aber –«
»Geht es ihm gut?«
»Ja, ja, es geht ihm gut. Ich meine, er wird wieder in Ordnung kommen. Ich werde um 9.30 Uhr im Büro sein, aber ich möchte, dass Sie vor mir da sind und das verdammte Ding suchen. Ich meine, noch bevor irgendjemand von den Kollegen zur Arbeit erscheint, haben Sie mich verstanden?«
»Wonach genau soll ich denn suchen?«, frage ich. Die Antwort darauf hab ich mir natürlich schon selbst zusammengereimt, aber das kann sie ja nicht wissen.
»Nach einer Liste. Eine Aufstellung im A4-Format mit Namen drauf«, blafft sie. »Sie werden wissen, was es ist, wenn Sie es sehen. Und wenn Sie sie nicht finden, dann … Sehen Sie einfach verdammt noch mal zu, dass Sie sie finden, Pamela.«
Sie hat aufgelegt, und ich fühle mich plötzlich ziemlich gestresst. Ehrlich gesagt fühle ich mich richtig scheiße. Ich stelle den Ton am Fernseher wieder laut. Die überforderte Mutti der Woche kratzt gerade gebackene Bohnen vom Küchenboden, während ihr Dreijähriger sie mit seinen Fäusten traktiert und ihr Siebenjähriger einen Pimmel auf die Tapete malt. Es gibt wohl immer jemanden, dem es noch mieser geht als einem selbst.
FREITAG
Pam : Kate wird ausrasten, denn ich hab verschlafen! Muss vergessen haben, mir den Wecker zu stellen. Bin erst aufgewacht, als Keith heimkam. Hab mich kerzengerade im Bett aufgesetzt, als ich den Schlüssel im Schloss hörte. Bin hochgeschossen wie eine Rakete, hab mich angezogen, mir die Zähne geputzt und mit fliegender Frisur das Haus verlassen.
Dass ich im Büro eintreffe, noch » bevor irgendjemand von den Kollegen zur Arbeit erscheint«, ist zu diesem Zeitpunkt unmöglich. Unsere offizielle Arbeitszeit beginnt zwar nicht vor 9 Uhr, aber normalerweise trudeln schon gegen 8.30 Uhr die ersten Kollegen ein. Irgendwie ist es Kates Schuld, dass ich jetzt zu spät dran bin. Ich war so aufgewühlt, nachdem sie mich gestern zusammengeschissen hatte, dass ich einfach nicht einschlafen konnte. Noch um halb drei hab ich mich unruhig hin- und hergewälzt. Wenn wenigstens Keith zum Ankuscheln dagewesen wäre …
Ich hetze durch die Rezeption in den Aufzug und drücke die 3. Nichts passiert. Ich haue ein weiteres Mal auf den Knopf und dann noch mal. Sicher ist sicher. »So geht das auch nicht schneller, Pam«, meint Mike Kyprianou, der zu mir in die Kabine tritt. Klugscheißer. Und wenn er tausend Mal den besten Abschluss seines Jahrgangs in Cambridge oder Harvard gemacht hat, was weiß er schon über Aufzüge? Ich drücke die 5 für ihn, und dann noch mal die 3 für mich. Die Tür gleitet zu. Endlich!
»Kate scheint Sie ja ganz schön ranzunehmen«, bemerkt er, als wir nach oben fahren.
»Na ja, wir in der Personalabteilung haben eben viel zu tun«, sage ich. »Ziemlich viel«, ergänze ich unnötigerweise.
»Ihre Chefin benimmt sich, als ob sie jeden Morgen aufgezogen wird«, sagt er. »Sie sollte wirklich mal ’nen Gang runterschalten. Vielleicht sollten Sie ihr mal ’ne Valium in den Kaffee tun.«
»Sie trinkt Kräutertee. Das würde sie merken.«
»Kräutertee«, wiederholt er grinsend. »Das passt.«
Ich habe bisher kaum mit Mike Kyprianou zu tun gehabt. Er ist ziemlich clever und auch sehr attraktiv. Kennen Sie den Sänger von Travis? Na ja, Mike sieht ihm ein bisschen ähnlich, nur dass er größer und älter ist. Die griechische Ausgabe sozusagen, wenn Sie wissen, was ich meine. Liebend gern würde ich hier rumstehen und ein bisschen mit ihm flirten, wo wir schon mal den Lift für uns haben, aber ich bin schließlich auf einer Mission. Ich muss diese verdammte Liste finden! Die Tür geht auf. Ich husche auf den Gang hinaus und eile in Kates Büro.
»Ihre Schuhe …!«, ruft Mike hinter mir her, und ich drehe mich um. Sein Finger deutet zu Boden, und ich folge seinem Blick. O Gott, Scheiße! Scheiße im wahrsten Sinne des Wortes, denn auf dem adretten grauen Teppich sind braune Fußabdrücke zu
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