Der normale Wahnsinn - Roman
nichts weiter tun als warten. Bald werden sie mit dem Rollstuhl kommen und mich in den OP schieben. Verrückt, die Sache mit dem Rollstuhl, ich bin nicht mal krank. Ich könnte ohne Weiteres zu Fuß gehen, aber nein, sie setzen einen in diesen Rollstuhl. Paul wird mich nicht begleiten. Er wird mir zum Abschied einen Kuss geben, mir sagen, dass er mich liebt, und warten, bis ich sicher im Aufzug bin. Und dann wird er sich um seinen Teil des Jobs kümmern und eine Kabine aufsuchen, wo schon ein kleiner Plastikbehälter auf ihn wartet. Und das war’s dann.
Großartig, oder? Wir leiden unter etwas, was als »medizinisch unerklärbare Unfruchtbarkeit« bezeichnet wird – die höfliche Umschreibung der Tatsache, dass man keine Ahnung hat, warum ich nicht schwanger werde. Das menschliche Genom wurde entschlüsselt, ganze Herden von Schafen wurden geklont, aber Paul und ich wissen nicht mehr, als dass mit uns eigentlich alles in Ordnung ist. Mein Eisprung erfolgt mit der Pünktlichkeit eines Schweizer Chronometers, Pauls Spermien sind nicht nur Legion, sondern sie strotzen auch vor Vitalität. Wir rauchen nicht, wir trinken nicht übermäßig viel Alkohol, und der Inhalt unseres Kühlschranks ist zu hundert Prozent organisch und bio. Und doch werde ich nicht schwanger. Und so ertrage ich es, dass man mir wochenlang Spritzen in den Hintern jagt, was dann irgendwann von einem »kleinen medizinischen Eingriff« gekrönt wird, während Paul gezwungen ist, sich parallel dazu einen runterzuholen.
Sie finden, das ist schlimm? Da haben Sie Recht.
Die Krankenschwester kommt zurück in mein Zimmer, dicht gefolgt von einem Pfleger, der einen Rollstuhl hereinschiebt. Es wird Zeit. Ein Kuss, ein »Ich liebe dich«, und auf geht’s. Ab in den Gang und hinein in den Aufzug. Ich hasse die Fahrt hinab in den OP. Ich habe ziemlich viel Angst. Und das Ganze wird mit jedem Mal sinnloser. Ich habe also ganz umsonst Angst.
Wir sind da. Der OP-Tisch ist schon bereit, und man hievt mich darauf. Seltsamerweise werde ich in diesem Augenblick immer ganz ruhig. Erst hier kann ich wirklich entspannen. Die nahende Bewusstlosigkeit. Das Ende des Stresses. Ein kurzer, aber erfrischend traumloser Schlaf. Und mit dem Drogenrausch, der mich jeden Moment außer Gefecht setzen wird, flackert auch so etwas wie ein letzter Hauch von Optimismus in mir auf. Diesmal wird es klappen . Ich höre die beruhigende Stimme der Krankenschwester, und dann die des Anästhesisten. Und dann ist es da, das süße Nichts.
… Fünf …
… Vier …
… Meine Schwester …
… Drei …
… Hab schon lange … wie lange eigentlich? … nicht mehr an sie gedacht …
Ali : »Wie viele?«
Wieder hält Paul meine Hand. Ich öffne die Augen und unternehme den halbherzigen Versuch, ihn anzusehen. »Du bist ja wach«, sagt er.
»Wie viele?«, wiederhole ich. Das ist alles, was mich im Moment interessiert.
»Drei«, erwidert er. »Man hat drei Eizellen gewinnen können.«
Ich schließe meine Augen, presse die Lider fest aufeinander, um nicht zu weinen. Warum das alles? Mit der Menge an Hormonen, die mir Paul in den Hintern gejagt hat, hätte ich so viele Eizellen produzieren müssen, dass es für eine ganze Legebatterie reicht. Aber nein, drei läppische Eizellen, das ist die magere Ausbeute. Meine Reaktion auf die Behandlungen ließ, um es in den Worten meines Arztes auszudrücken, schon immer »ein wenig zu wünschen übrig«, was nicht die Beschreibung ist, die ich dafür gewählt hätte. Mit jedem Behandlungszyklus wurde die Dosis erhöht. Mein bestes Ergebnis waren fünf Eizellen. Diesmal sind es nur drei. Also scheint die Ausbeute langsam, aber sicher immer schlechter zu werden. Diese Erkenntnis bestärkt mich nur in meinem Entschluss: Das hier war das letzte Mal.
Ich höre, wie jemand ins Zimmer kommt. »Na, wie geht’s denn unserer Patientin?« Das ist die Krankenschwester.
Unsere Patientin ist angepisst, sauer und verspürt größte Lust, um sich zu schlagen, wäre sie nicht bis in die Haarspitzen mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt worden.
»Wir sind wohl noch ein bisschen erschlagen, was?«, befindet sie. »Drei gute Eizellen. Sehr schön.«
Ich reiße die Augen auf.
»Der Embryologe meint, es sind fantastische Eizellen«, fährt sie fort. »Er kann es kaum erwarten, sich mit ihnen zu beschäftigen.«
Gute Eizellen? Fantastische Eizellen? Woher zum Teufel will sie das eigentlich wissen? Gott, wenn ich eine Packung mit Eiern öffne, weiß ich nicht
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