Der normale Wahnsinn - Roman
dahin noch nicht wieder miteinander gesprochen haben. Also viel Glück, Süße! Bis später!«
Ali : »Wer hat denn da auf deine Mailbox gesprochen?«, fragt Paul.
»Siobhan«, sage ich. »Wer außer ihr würde morgens um sieben in der Gegend herumtelefonieren?«
»Tut mir leid, aber Handys sind hier nicht erlaubt«, sagt die Krankenschwester und ringt sich ein Lächeln ab. In einem Hospital des National Health Service hätte sie selbst dafür wohl keine Zeit. Aber ich liege in einem Privatkrankenhaus und nehme an, dass ich den Luxus eines Lächelns mitbezahle. Oder vielmehr Paul. Mit dem Umsatz aus meinem Laden könnte ich hier nicht mal ’ne Tasse Tee kaufen.
»Sorry«, sage ich und verstaue das Handy wieder in meiner Tasche. »Hab’s nur gerade ausgeschaltet.«
Wir sind in der Portman-Klinik. Vor dem Fenster meines Zimmers mit Aussicht auf den Lord’s Cricket Ground hängen Tricia-Guild-Vorhänge. Auf dem Waschbecken stehen Toilettenartikel von Molton Brown, und an der Wand sorgt ein Druck von Graham Sutherland für eine anheimelnde Atmosphäre. Aber das untrüglichste Zeichen dafür, dass man sich nicht in einem normalen Krankenhaus befindet, ist der Geruch. Beziehungsweise die Abwesenheit desselben. Die typische Duftmelange aus strengem Desinfektionsmittel und gekochtem Kohl fehlt hier völlig.
Und doch ist und bleibt dieser Ort ein Krankenhaus, so sehr man diesen Eindruck auch zu vermeiden sucht. Da liege ich also in meinem atmungsaktiven OP-Hemd ohne Rückenteil und warte darauf, dass der Narkosearzt mich ins Land der Träume schickt. Für gewöhnlich wird dieser von einem beratenden Arzt begleitet, der mich vor dem Eingriff noch einmal untersucht. Ich argwöhne, die beiden arbeiten nebenbei noch für den National Health Service.
»Glaubst du, die Polizei führt bei Marco jetzt ’ne unangekündigte Hausdurchsuchung durch?«, fragt mich Paul.
»Tja, ich hatte den Eindruck, dass die Cops es ziemlich eilig hatten, ihn zu verhören«, sage ich.
Noch gestern Abend kamen zwei Detectives zu uns nach Hause. Paul servierte ihnen Kaffee und Plätzchen, was mich, die ich ja nüchtern bleiben musste, ziemlich genervt hat. Nachdem die beiden schließlich ihre Bourbons runtergekippt hatten, fragten sie mich endlich, was ich zu dem Mordfall auszusagen hätte. Sie hatten bereits Michele verhört und wollten ihr Glück kaum fassen, als ich ihnen sogar den Namen eines Tatverdächtigen nennen konnte. Und das ist Marco in dieser Sache nun mal – ein Tatverdächtiger.
Das ist alles so unfassbar und enervierend zugleich. Was, wenn er’s wirklich war? Herrgott, dann hätte ich mich noch vor zehn Tagen mit einem Mörder an einem Tisch befunden! Und dann die ganzen Male, die er vor dem Starbucks gesessen hat? Hatte er es auf Michele abgesehen? Oder auf mich? Und was, wenn Michele und ich das alles völlig falsch verstanden haben? Was, wenn wir mit unserer Aktion jetzt Marcos Ehe aufs Spiel gesetzt haben? Selbst wenn die Polizei zu dem Schluss kommt, dass er’s nicht gewesen sein kann, wird seine Frau ihn mit Sicherheit nicht so leicht davonkommen lassen. Oder vielleicht doch. Vielleicht weiß Kate ja, dass ihr Mann tagein, tagaus im Starbucks seine Zeit totschlägt, und vielleicht ist es ihr sogar egal. Den lieben langen Tag Maulaffen feilhalten ist ja schließlich kein Verbrechen. Und regelmäßig in einem Coffeeshop abzuhängen ist nicht mal im biblischen Sinne eine Sünde wie zum Beispiel das Glücksspiel oder das Begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind oder Esel. Andererseits hört bei der Religion der Spaß erfahrungsgemäß auf, und wer weiß, wenn es zu Moses’ Zeiten schon Coffeeshops gegeben hätte …
Ehrlich gesagt habe ich wenig Lust, jetzt an Marco zu denken. Und auch wenig Lust, daran zu denken, warum ich schon wieder hier bin.
»Wie geht’s dir?«, fragt Paul.
Ich zucke die Achseln. Was soll ich sagen, das nicht schon tausend Mal zuvor gesagt worden ist? Er sitzt neben mir auf der Bettkante und hält meine Hand. Heute ist kein guter Tag. Seine Aufmerksamkeit macht mich nervös, und ich bin drauf und dran, seine Hand wegzuschieben, aber ich tu’s nicht. Da ist Liebe in der Art, wie er mich streichelt, viel Liebe, und ich hab ihn in den letzten Tagen wahrlich schlecht behandelt, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit runtergeputzt. Paul tut stets sein Bestes, auch wenn er manchmal ganz schön naiv sein kann, und er hat meine Gemeinheiten einfach nicht verdient.
Im Moment können wir
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