Der normale Wahnsinn - Roman
fällt, da explodiere ich.
Christie : Das Geschrei wird lauter, dann folgt ein Krachen und Scheppern. Klingt, als ob soeben eine weitere Tasse gegen die Wand geflogen ist. Wenn sie so weitermacht, ist der Geschirrschrank in nur wenigen Tagen leer. Wenn ich mal was kaputt mache, zieht Kate es mir kleinlicherweise vom Lohn ab. Frage mich, welche Strafe sie in dieser Sache für sich selbst vorgesehen hat. Ich setze mich auf meinem schmalen Campingbett auf und sehe rüber zu Cameron. Der Kleine schläft noch. Da muss schon ein bisschen mehr passieren, als dass jemand Geschirr zertrümmert, damit er aufwacht. Der arme Wurm war die halbe Nacht wach, weshalb ich annehme, dass er noch eine ganze Weile im Land der Träume sein wird.
Ich liege schon ein paar Minuten hier und muss mir den Streit meiner Arbeitgeber anhören. Genauer gesagt höre ich, wie Kate herumschreit und Marco das Gezeter wie üblich schweigend über sich ergehen lässt. Die vergangene Woche war einfach die Hölle. Erst verliert Kate ihre Stelle – Himmel, die Frau war schon ’ne Zumutung, als ich sie nur für ein paar Stunden am Tagertragen musste –, und dann passiert diese Sache mit Marco. Das hat mich wirklich geschockt. Ob die Polizei wirklich glaubt, dass er … Okay, ich fand ihn auch schon immer irgendwie seltsam … Gut, vielleicht ein bisschen mehr als seltsam, aber … ein Mörder?
Die beiden meinten, die Sache wäre nun ausgestanden, dass es nur ’ne Routineuntersuchung gewesen wäre, ’ne Verwechslung und was weiß ich. Aber trotzdem mache ich mir Gedanken. Um ehrlich zu sein, ich hab Angst. Ja, genau so kann man’s nennen: Ich hab ’ne Scheißangst.
Nach allem, was in letzter Zeit passiert ist, hatte ich schon einige Male daran gedacht, den Job einfach hinzuschmeißen. Das Einzige, was mich hier noch gehalten hat, war Cameron. Ich konnte ihn in seinem Zustand einfach nicht im Stich lassen. Aber die Tasse, die gerade gegen die Wand geworfen wurde, hat mich zu einer Entscheidung gebracht. Sobald Cameron wieder auf dem Damm ist, werde ich kündigen. Ich werde nicht einen Tag länger als nötig in England bleiben und wieder nach Hause fahren. Ich weiß, Tanya und ihre Aussie-Clique werden sagen, dass ich England nie ’ne Chance gegeben hab und jetzt einfach so davonrenne. Aber so ist es nicht. Davongerannt bin ich, als ich Australien den Rücken gekehrt habe, so sieht’s aus.
Ich starre hinauf zu Camerons Mobile – ein handgefertigtes, handbemaltes Ding, das vermutlich ein Vermögen gekostet hat – und lausche. Unten ist es wieder still geworden – ich denke, die Sache mit der Tasse hat den Schlusspunkt des Streits markiert. Ich könnte töten für einen Kaffee, also stehe ich vorsichtig auf – die Campingliege hat quietschende Federn –, werfe mir meinen Morgenmantel über und schleiche mich auf Zehenspitzen aus dem Kinderzimmer.
Marco ist nirgendwo zu sehen, als ich durchs Haus gehe – vermutlich hat er sich wieder in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Ich inspiziere den Flur. Von der Wand tropft Tee zu Boden.Das wird fiese Flecken geben, wenn das nicht bald weggewischt wird. Ein paar Porzellanscherben liegen auch noch auf den Terracottafliesen. Wie’s scheint, musste das teure Service dran glauben, wahrscheinlich das von Wedgwood. Das wird Kate noch leid tun, so viel ist sicher. Ich sehe sie in der Mitte der Küche am Tresen sitzen; sie hat mir den Rücken zugewandt. Vielleicht sollte ich sie eine Weile in Ruhe lassen, andererseits brauche ich dringend einen Kaffee.
»Morgen«, sage ich, als ich die Küche betrete.
Keine Antwort. Zusammengesunken sitzt sie da, und ich kann ihr Gesicht nicht sehen.
»Haben Sie was dagegen, wenn ich mir einen Kaffee mache?«, frage ich.
Schweigen.
Ich setze den Kessel auf und warte. »Soll ich im Flur mal rasch sauber machen?«, frage ich.
Da erwacht die Hausherrin zum Leben. »Lassen Sie mich einfach in Frieden, verdammt noch mal«, faucht sie, bevor sie zum Telefon greift.
Siobhan : Wer ruft denn um diese Zeit hier an? Und dann auch noch auf meinem Handy? Was glaubt derjenige eigentlich, wo ich mich am frühen Morgen so rumtreibe? Am Fischstand unten in Billingsgate? Ich werfe einen Blick aufs Display. Kate. Ach du Scheiße! Hab den Kontakt zu ihr in den letzten Tagen vermieden – verständlicherweise. Und im Moment ist der Zeitpunkt für ein Gespräch auch denkbar schlecht. Wie immer zur Frühstückszeit bei Familie Gethen. Andererseits kann ich ihr nicht noch länger
Weitere Kostenlose Bücher