Der normale Wahnsinn - Roman
mich beruflich verändern wolle. Wie hieß der noch gleich …?
Marco kommt in Morgenmantel und Hausschuhen in die Küche geschlurft und stört mich in meinen Gedanken. Warum ist der überhaupt schon auf?
»Möchtest du auch einen?«, fragt er mich, als er den Kessel aufsetzt.
»Nein, hab mir gerade einen Tee gemacht«, erwidere ich.
Ich verfolge, wie er sich eine Portion Instant-Kaffee in einen Becher löffelt, die Milch aus dem Kühlschrank holt und sich Cornflakes in eine Schale schüttet. Er wirkt so geschäftig, als wäre das hier nur ein weiterer ganz normaler Morgen im ach so normalen Hause Lister. Ich kann mir nicht helfen, ich bin sprachlos.
Er muss bemerkt haben, dass ich ihn mit offenem Mund anstarre, denn jetzt dreht er sich zu mir um und fragt: »Hast du gut geschlafen?«
»Ich fasse es nicht«, entfährt es mir.
»Was fasst du nicht?«, murmelt er.
»Du wirst zwei Tage auf der Polizeiwache zu einem Mord verhört, und alles, was du sagst, ist: ›Hast du gut geschlafen?‹«
Er antwortet nicht. Doch wann hätte er je auf irgendwas geantwortet?
»Also gut, Marco, zu deiner Information: Nein, ich habe nicht gut geschlafen. Denn falls du es noch nicht mitgekriegt haben solltest, ich habe derzeit einiges, was mir Sorgen bereitet. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich ohne Job dastehe oder dass mein Sohn fast an einer Lungenentzündung gestorben wäre oder dass mein Ehemann unter Mordverdacht steht.«
»Hör mal, ich hab dir doch gesagt , dass ich nicht mehr unter Verdacht stehe. War nur ’ne dumme Verwechslung. Wahrscheinlich haben sie in diesem Fall ’ne Menge Leute überprüft. Ich bin eben im Raster hängen geblieben. Und das hab ich dir auch gesagt.«
»Einen Scheißdreck hast du mir gesagt, das ist ja das Problem«, sage ich, lauter nun. Ich möchte Cameron nicht aufwecken, aber Marco treibt mich gerade echt zur Weißglut.
»Was willst du denn wissen?«, fragt er.
»Warum gerade du? Warum haben sie gerade dich vorgeladen, Marco? Warum?«
»Hab ich doch schon gesagt. Jemand hat jemanden mit dem Mädchen gesehen, der mir irgendwie ähnlich sah, und da haben sie eben zwei und zwei zusammengezählt.«
»Und dann haben sie zwei Tage gebraucht, um deine Unschuld festzustellen?«
»Zwei Tage waren es ja nun nicht«, murmelt er. »Sie haben mich am Mittwoch verhört und gestern noch mal für ein paar Stunden. Zwei ganze Tage waren es also nicht –«
»Lass die Haarspalterei. Warum haben sie überhaupt so lange gebraucht, wenn es sich nur um eine ›Verwechslung‹ gehandelt hat?«
»Weil sie eben gründlich arbeiten, nehme ich an. Ich musste jeden meiner Schritte, die ich um die Tatzeit herum gemacht habe, zu Protokoll geben und … Du glaubst doch nicht, dass ich was damit zu tun habe, oder?«
»Sei nicht albern«, schnappe ich. Und albern ist das alles, keine Frage, wenn nicht absurd. Marco ein Mörder? Genauso gut hätten sie den Erzbischof von Canterbury vorladen können. Und die Tatsache, dass sie ihn wieder laufen gelassen haben, bestätigt ja nur, was ich denke. Und doch hindert mich all dies nicht daran, mir Sorgen zu machen. »Sag mal, kümmert dich das alles denn kein bisschen?«, frage ich ihn.
»Was meinst du?«
»Was ich meine? Du lieber Gott, Marco … du bist wirklich unglaublich. Die Polizei hat dich zwei Tage lang als Tatverdächtigen für ein wirklich abscheuliches Verbrechen in die Mangel genommen, deine Frau und deine Nanny verhört und all deine Sachen zur Spurensicherung geschickt und du … Ich meine, macht dir das denn alles überhaupt nichts aus?«
Er zuckt die Achseln. Zuckt einfach nur die verdammten Achseln.
»Also mir macht das was aus, wenn du’s genau wissen willst! Um ehrlich zu sein, bin ich außer mir!« Nun schreie ich, aber Dinge wie Diskretion und Rücksichtnahme sind mir inzwischen egal. »Ich hab zwei Tage kein Auge zugemacht, weißt du? Wie konnten die mir so was antun? Und du? Du machst in deiner kleinen Eskapisten-Blase so weiter wie bisher? Tust so, als sei nichts geschehen und als habe niemand in deinem Umfeld mit der Sache auch nur das Geringste zu tun? Was denkst du dir eigentlich dabei?«
»Sieh mal … Ich bin … Du weißt schon … auch verstimmt … aber ich komme irgendwie damit klar … auf meine Art.«
Spricht’s und schlurft mit seinem Frühstück an mir vorbei und aus der Küche. Ich merke, wie mir die Galle hochkocht, als ich ihn durch den Flur latschen höre. Und als die Tür zu seinem Zimmer wieder ins Schloss
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