Der normale Wahnsinn - Roman
er sich vor und reißt den Strafzettel von der Windschutzscheibe. Ich will von hier weg, weil die Art und Weise des Typen mir ganz und gar nicht gefällt. Doch der Mann legt eine Hand auf das Dach seines Autos und versperrt mir damit den Weg.
»Mach das wieder rückgängig«, verlangt er. Er knüllt das Ticket in seiner Faust zusammen und hält es mir vor die Nase.
»Wenn ein Strafverstoß einmal im System erfasst wurde, ist das nicht mehr möglich, Sir. Wenn Sie sich beschweren wollen, dann können Sie –«
»Ich sagte, mach das wieder rückgängig, du Wichser.«
»Sir, wenn Sie nicht aufhören, mich zu beleidigen, werde ich die Polizei holen.« Mittlerweile habe ich wirklich Angst.
»Sieh mal einer an, du mickriger schwarzer Pisser, heute scheint dein Glückstag zu sein«, erwidert der Mann und packt mich am Hals, »… denn die Polizei ist schon da.«
Siobhan : Mit einem bunten Strauß, der so ziemlich jede derzeit erhältliche Blumensorte enthält, komme ich wieder aus dem Laden. Möglicherweise wirkt das Ganze jetzt ein bisschen protzig, keinesfalls jedoch riecht die Sache nach Beerdigung. Ein paar Meter weiter scheint sich vor dem Zeitschriftenladen ein Handgemenge anzubahnen. O Gott, wie’s scheint, ist das eine Knöllchen-Schlägerei, bei der ein winziger Hilfspolizist gerade im Begriff steht, von einem Mann erwürgt zu werden, der doppelt so groß ist wie er. Ein paar Passanten sind stehen geblieben und beobachten die Szene, aber niemand greift ein. Der Angreifer kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann ihn nicht einordnen; ein Nachbar ist es jedenfalls nicht. Die Leute hier in der Gegend neigen nicht zu Selbstjustiz, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Nein, hier schreibt man selbstgerechte Leserbriefe an Ham & High .
Jetzt lässt der Mann vom Hals des Hilfspolizisten ab, doch nur, um auszuholen und zuzuschlagen. Der Kleine geht zu Boden, bleibt liegen und schlägt sich beide Hände vors Gesicht. Blut sickert durch seine Finger, doch noch immer greift niemand der Gaffer ein.
»Hören Sie auf! Hören Sie auf der Stelle auf«, rufe ich.
Der Schläger schaut mich an – ja, ich kenne ihn, aber woher? – und verzieht den Mund zu einem bösartigen Grinsen. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück. Dann dreht er sich wieder zu seinem Opfer um und versetzt ihm einen harten Tritt in den Magen. Der Hilfspolizist krümmt sich reflexartig zusammen, doch sein Peiniger scheint mit ihm fertig zu sein, denn nun steigt er einfach über ihn hinweg und setzt sich in seinen Wagen. Ich kann nicht glauben, dass er jetzt einfach so davonfährt, doch genau das tut er, in aller Seelenruhe.
Wie jeder andere der Umstehenden auch, eile ich auf den am Boden liegenden Hilfspolizisten zu. Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf die Schulter, dann schaue ich in die Runde und sage: »Würde bitte mal jemand einen Krankenwagen rufen, verdammt noch mal?«
Da nimmt der Hilfspolizist die Finger von seinem Gesicht. In seiner geöffneten Handfläche liegt ein blutverschmierter Zahn.
Siobhan : »Es war schrecklich«, sage ich. »Und keiner hat den Typen aufgehalten – ich auch nicht.«
»War wohl auch besser so. Sonst hätte er dich am Ende auch noch zusammengeschlagen«, meint Paul.
»Trotzdem hab ich ein schlechtes Gewissen.«
»Hat sich denn jemand sein Autokennzeichen notiert?«, fragt Ali.
»Nicht nötig«, erwidere ich. »Der Hilfspolizist hatte ja schon alle Daten in seinem Handcomputer – er war ja gerade dabei, dem Typen einen Strafzettel auszustellen. Glaube nicht, dass die Polizei lange nach ihm suchen muss, es sei denn, der Wagen war gestohlen. Die Sache ist, dass ich mir sicher bin, diesen Mannschon mal gesehen zu haben. Weiß nur nicht, wo ich ihn hinstecken soll.«
Ich bin im Krankenhaus, und mir brennt die Zeit unter den Nägeln. Hab auf dem Broadway auf das Eintreffen des Krankenwagens gewartet und meine Beobachtungen dann der Polizei zu Protokoll gegeben. Man sagte mir, dass ich später eine ausführliche Aussage zu dem Vorfall würde machen müssen, und ich vermute, ich werde auch vor Gericht als Zeugin vernommen werden, wenn sie diesen Bastard geschnappt haben.
Ali liegt auf einem Berg aus Kissen, ich sitze auf dem Stuhl neben ihrem Bett, und Paul hockt auf der Bettkante. Sie sieht irgendwie gar nicht so aus, als hätte sie gerade eine Notoperation hinter sich. Eben hat sie ihr Nachthemd hochgehoben und mir die Stellen an ihrem Bauch gezeigt, wo die Punktion vorgenommen wurde.
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