Der Novembermörder
Augenbrauen und sagte: »Das scheint dann ja ein Traumversteck zu sein. Bei seinem Daddy, meine ich.«
»Nun ja, der ist dreiundsechzig und vor zehn Jahren auf Grund psychischer Probleme frühzeitig pensioniert worden. Wegen schweren Alkoholmissbrauchs. Das Einzige, was ich erfahren habe, ist, dass er keinen festen Wohnsitz hat.«
Eine Weile wurde diese Information schweigend bedacht. Dann sagte Irene: »Ich denke, es wäre den Versuch wert, Billdal einmal unter die Lupe zu nehmen. Das ist ja eigentlich der erste Hinweis, den wir überhaupt gekriegt haben. Jimmy und ich könnten rausfahren und uns das mal ansehen. Du hältst solange die Stellung und suchst weiter nach möglichen Schlupfwinkeln für Torsson.«
»In Ordnung. Ich bin inzwischen schon so in Torssons und Lillis’ Akten bewandert, dass es sicher das Beste ist, wenn ich weiter dran bleibe«, stimmte Birgitta zu.
Schnell bezahlten sie und liefen hinaus in den einsetzenden Regen. Die Sterne standen günstig für sie an diesem Tag: Die Siebener-Straßenbahn klapperte genau in dem Moment heran, als sie an der Haltestelle ankamen. Sie fuhren bis zur Lilla Stampgatan mit. Von dort war es noch ein Stück bis zum Polizeipräsidium. Gut durchnässt liefen sie dort ein und hinterließen kleine Wasserpfützen auf ihrem Weg zum Fahrstuhl, die aussahen wie die Spur einer Schnitzeljagd.
Sie holten die Karten von der Gegend hervor, die in dem Bericht über die Festnahme von 1982 angegeben worden war. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Kate fanden. Den Feldweg, den der Achtzehnjährige schimpflicherweise nicht gefunden hatte, gab es nicht mehr, denn dort, wo er gewesen war, war in der Zwischenzeit eine ansehnliche Reihenhaussiedlung herangewachsen. Alle Straßen waren verändert. Anfangs suchten sie viel zu nahe an der Küste. Aber schließlich gelang es Irene, das kleine Anwesen doch noch zu finden, knapp einen Hektar groß, an der Grenze zum Naturschutzgebiet Sandsjöbacka. Im Bericht wurde das Haus »Solhem« genannt und es war sogar auf der detaillierten Karte vermerkt. Irene rief aus: »Das hat ja die ideale Lage! Kein einziges Haus in Blickweite. Perfekt, um sich zu verstecken. Dichter Wald zum Naturschutzgebiet hin, Hügel auf der Nordseite und offenes Gelände nach Süden und Westen hin. Und nirgends irgendwelche andere Bauten.«
Sie hielt inne und fuhr weniger begeistert fort: »Das wird ein Problem. Wie können wir ungesehen ans Haus herankommen?«
Jimmy und Irene beugten ihre Köpfe über die Karte. Schließlich fand Irene eine Möglichkeit.
»Wir fahren über Lindåsmotet und dann über die kleinen Straßen Richtung Sansjöbacka, bis wir nicht mehr weiterkommen. Dort gibt es einige kleinere Häusergruppen, aber wir werden außerhalb ihrer Sichtweite parken. Wir wollen ja nicht, dass sich jemand Sorgen macht und die Polizei anruft. Ich denke, da irgendwo wird es schon gehen. Wir schlagen uns dann in den Wald und gehen am Waldrand Richtung Norden.«
Sie machte mit ihrem Zeigefingernagel ein Kreuz auf der Karte und Jimmy nickte.
»Yes.«
Jimmys Augen folgten aufmerksam den Linien, die Irene mit ihrem Nagel zog. Seine Erregung war deutlich zu spüren, ohne dass ihm das selbst bewusst war. Irene wurde davon angesteckt und fühlte sich wie ein Heerführer vor einem Feldzug. Aber sie wusste, dass es eine Sache war, sich auf einer Karte fortzubewegen, und eine ganz andere, sich in einem unwirtlichen Gelände in Regen und Dunkelheit vorzutasten. Birgitta fragte: »Habt ihr die Möglichkeit, euch trockene Kleidung anzuziehen, bevor ihr losfahrt? Wenn ihr draußen eine Weile herumstehen und beobachten müsst, seid ihr sonst sofort durchgefroren.«
Sie betrachtete kritisch die nassen Jeans und Schuhe der beiden. Das mit der Kleidung war ein ganz praktisches Problem, das überlegt werden musste. Irene fiel ihre Tüte mit Joggingkleidung im Wagen ein und sie sagte: »Ich habe meine Trainingssachen im Auto.«
»Du willst doch wohl nicht im Judopyjama durch den Wald hüpfen?«
»Nein, nicht die Ju-Ju-Sachen. Meine Joggingsachen. Tommy und ich wollten Dienstagabend zusammen joggen. Aber wie du weißt, wurde dann Dienstag nichts draus. Jimmy, hast du trockene Sachen?«
»Ach, ich komme schon zurecht. Aber ich hol noch ’ne heiße Sache, die wir gut gebrauchen können.«
Er verschwand auf dem Flur. Irene ging hinunter zu ihrem Wagen. Es wehte heftig und der eiskalte Regen peitschte ihr ins Gesicht. Es war finster wie in der Nacht. Vielleicht war es gar
Weitere Kostenlose Bücher