Der Novembermörder
zu.
»Hallo! Und vielen Dank für die Informationen über Torsson«, fügte sie hinzu.
»Ach, don’t mention it.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er ohne zu zögern ergriff. Ein trockener, warmer Handschlag.
»Irene Huss. Ich glaube, ich habe vergessen, nach deinem Namen zu fragen.«
»Jimmy Olsson. Assistent.«
Mit einem strahlenden Lächeln und funkelnden Augen beugte sich Irene zu Annika Nilsén vor und umgarnte sie mit ihrer charmantesten Art.
»Wahrscheinlich hast du auch schon dran gedacht, dass Jimmy ja bereits ein wenig Einblick gekriegt hat in unseren Fall. Kannst du dir vorstellen, ihn uns für eine Weile auszuleihen?«
Die stellvertretende Kommissarin fuhr sich verwirrt mit ihren kurzen Fingern durch die grau melierte Pagenfrisur.
»Das könnte wohl gehen«, sagte sie zögerlich.
Ein kurzer Blick zu Andersson machte Irene klar, dass er etwas Handfesteres hatte haben wollen. Zwei oder drei Inspektoren, mindestens. Annika Nilsén sah ihre Chance. Sie streckte sich etwas in ihrer unvorteilhaften dunkelblauen Strickjacke und schaute Jimmy Olsson an.
»Warst du schon mal in der Abteilung für Gewaltverbrechen?«, fragte sie.
»Nun ja, in der Ausbildung war ich acht Wochen beim Dezernat. Aber bei der Einbruchsabteilung, nicht bei der Gewalt.«
»Dann ist das ja eine Chance für dich, dein Wissen und deine Kontakte weiter auszubauen. Du hilfst mit im von-Knecht-Fall. Aber hinterher will ich dich wieder haben!«
Bei dem letzten Satz drohte sie ihm scherzhaft mit dem Finger und lächelte Irene vielsagend zu. Das war ihre Art zu sagen, dass Jimmy eine ausgezeichnete Wahl war. Und da konnte ja wohl niemand mehr behaupten, das Rauschgiftdezernat hätte nicht geholfen!
Irene verbrachte einige Stunden damit, Jimmy über alle Informationen im von-Knecht-Fall zu unterrichten. Sie konnte sich nicht über mangelndes Interesse beklagen. Seine Augen hingen an ihren Lippen und er sog alle Details in sich auf. Fast hätte sie ihn wegen seiner welpenartigen Begeisterung für dieses verzwickte Mysterium beneidet. Das Welpenhafte lag sicher an seinem jungen Alter, erst vierundzwanzig war er, aber seine Fragen waren intelligent und begründet. Ihr Instinkt war richtig gewesen. Sie selbst ermüdete inzwischen eher, wenn die Sache zu kompliziert wurde. Aber sie konnte sich noch daran erinnern, wie es in den ersten Jahren gewesen war. Die Spannung, der erwachende Jagdinstinkt und das Gefühl des Triumphs, wenn der Fall gelöst war. Sicher, das gab es immer noch, aber deutlich abgeschwächt. Allzu viele Fälle hatten nicht den großen Siegesrausch, sondern eher einen faden, bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Man wird geläutert und zynisch in diesem Geschäft, das dachte sie immer häufiger in einer ihrer finsteren Stunden. Aber sie wollte weder geläutert noch zynisch sein! Man musste weitergehen, die ganze Zeit vorwärts. Nicht stehen bleiben und sich vergraben. Das war kein ungefährlicher Job, den sie sich da ausgesucht hatte. Doch sie hatte nie einen anderen gewollt und er hatte ihr immer gefallen. Aber in den letzten Jahren hatte sie ein schleichendes Gefühl überfallen, das es früher nicht gegeben hatte. Erst in letzter Zeit war es ihr geglückt, es zu identifizieren. Angst. Angst vor der menschlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Würde anderer Menschen und vor der immer brutaleren Gewalt. Anscheinend hatte sie laut geseufzt, denn Jimmy Olsson schaute verwundert von den Papieren auf dem Schreibtisch auf. Vor ihm lagen die Skizzen von Marstrand. Nicht, weil sie besonders wichtig waren, sondern weil er sich dafür interessierte. Um ihren Seufzer zu überspielen, sagte sie: »Also, jetzt ist es aber höchste Zeit, etwas essen zu gehen. Wollen wir mal nachsehen, welche Leckereien die Kantine uns heute zu bieten hat?«
Jimmy verzog vielsagend sein Gesicht. Also beschlossen sie, lieber schnell in die Stadt zu gehen und dort zu versuchen ein zusammengestoppeltes Tagesgericht zu kriegen.
Ihr Weg führte sie an Birgitta Mobergs Zimmer vorbei. Diese saß tief in Papiere und Dateien versunken da, beschloss aber trotzdem, sich ihnen anzuschließen. Es war fast ein Uhr, und der Magen knurrte.
Nach vorn gebeugt eilten sie durch den schneidenden Wind. Der Himmel war wolkenverhangen, Regen lag in der Luft. Der Wind fuhr wütend durch die gerade aufgebauten Weihnachtsdekorationen auf dem Drottningtorget. Richtige Weihnachtsstimmung konnte diese bei den vorübereilenden Passanten nicht erzeugen. Alle
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