Der Novembermörder
Rauschgiftdezernat informieren. Die sind draußen in Billdal und befragen die Leute in der Umgebung, um möglicherweise Zeugen zu finden, die Lillis’ mit diesen Schweinen von den Hell’s Angels gesehen haben. Wenn wir einen finden, kann die Staatsanwaltschaft ihn in Untersuchungshaft nehmen. Und ich will Lillis während dieser verfluchten Ermittlungen unter Aufsicht haben!«
»Aber das hatten wir ja seit Freitag. Laut den Kollegen war er nur im Geschäft und in der Gegend um die Berzeliigatan. Kein Ausflug nach Billdal«, warf Birgitta ein.
»Das stimmt. Aber er kann ja angerufen haben. Er kann telefonischen Kontakt mit ihnen gehabt haben«, versuchte es der Kommissar.
Birgitta konnte nur mit Mühe einen Seufzer unterdrücken, als sie antwortete: »Das können wir wohl kaum beweisen. Es gibt kein Telefon in der Kate. Nein, wir brauchen Beweise, dass Lillis in die ganze Sache verwickelt ist. Sonst muss er Freitag freigelassen werden.«
Die beiden anderen wussten, dass sie Recht hatte. Plötzlich fühlte Irene, wie schrecklich müde sie war.
»Ich glaube, ich muss Krister anrufen. Es ist schon fast halb sechs und mein armer zusammengeschlagener Körper und mein Gehirn schreien nach einem Bett«, erklärte sie.
KAPITEL 14
Krister kam, Irene abzuholen. Einen kurzen Moment schaffte sie es trotz allem im Auto zu schlafen, aber das war erst einmal alles, was sie an Schlaf kriegen sollte. Denn als sie zu Hause ankamen, bestürmten die Mädchen sie mit Fragen bezüglich der Ereignisse in Billdal. Irenes Antworten waren ausweichend und zensiert. Schließlich entschuldigte sie sich damit, dass sie einfach zu müde sei, nur um endlich das Thema wechseln zu können. Noch vor den Zehnuhrnachrichten ging sie ins Bett. Eigentlich fühlte sie sich überhaupt nicht müde, es war nur eine Flucht, weil sie nicht mehr darüber reden mochte. Krister spürte das und kroch leise eine Stunde später neben sie. Er hielt sie lange einfach nur im Arm und sie spürte seinen warmen Körper neben ihrem. Normalerweise erwachte dadurch in ihr die Lust und das Verlangen, aber heute konnte nicht einmal seine Wärme die Kälte in ihr vertreiben. Als er schließlich in sein Bett hinüberrollte und einschlief, begann sie zu schwitzen. Sie konnte einfach nicht stillliegen. Das Bettlaken lag wie ein feuchtes, drückendes Knäuel unter ihr, und jeder Muskel und jedes Glied ihres Körpers schmerzten. Gegen vier Uhr gab sie die Hoffnung auf, noch einschlafen zu können. Ihr Gehirn spulte unaufhörlich die Szenen aus dem Schuppen ab, sowohl die, welche wirklich abgelaufen waren, als auch die, die hätten eintreffen können. Die höhnischen Stimmen hüllten ihren Kopf in ein graues, undurchdringliches Spinnengewebe ein. Der befreiende Punkt war nicht fassbar, weshalb auch das Licht unerreichbar blieb. Eine undurchdringliche Haut war im Weg und sie wusste um ihre Bestandteile: Furcht und Angst.
Während der sich langsam dahinschleppenden Stunden der Nacht spürte sie immer deutlicher, dass sie sich selbst nicht entfliehen konnte. Das schwarze Loch war dabei, sie ganz und gar zu verschlingen. Sie musste in das Loch hineingehen und die flüsternden Stimmen aus ihren eiskalten, klebrigen, in Nebel gehüllten Verstecken treiben. Sie musste ihren inneren Feind bekämpfen. Sie war ihr eigener uke.
In die große dunkelbraune Polizeitasche verstaute Irene eine Thermoskanne mit Kaffee, drei Butterbrote, saubere Unterwäsche und ein sauberes gi. Letzteres war besonders wichtig. Keine alten, unbewussten Gerüche durften ihre Konzentration stören. Der Schweiß ihrer Trainingssachen sollte ihr hinterher sagen, was es sie gekostet hatte, die Dämonen auszutreiben.
Die Uhr an der Tyska kyrkan schlug fünf, als sie vor den Trainingsräumen am Hamnkanal parkte. Es war dunkel und still. Nur wenige Wagen fuhren und das Quietschen einer Straßenbahn war in der Ferne zu hören. Sie suchte den richtigen Schlüssel an ihrem Schlüsselbund und schloss auf.
Der vertraute Geruch nach verschwitzten Trainingssachen und Liniment schlug ihr entgegen und ließ einen leichten Schauder der Freude über ihr Rückgrat laufen. Das konnte als gutes Zeichen angesehen werden. Mit entschlossenen Schritten ging sie in den Umkleideraum und zog sich um. Es war ein gutes Gefühl, sich den rauen Baumwollanzug überzuziehen und den schwarzen Gürtel umzubinden.
Der Dojon lag in tiefer Dunkelheit da. Die hochliegenden Fenster ließen nur einen schwachen Schein der Straßenlampen herein.
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