Der Novembermörder
nehmen, wenn man nicht weiß, was genau er verbrochen hat. Nur, dass er etwas verbrochen hat!«
»Genau. Aber Sie müssen doch zugeben, dass es problematisch wäre, wenn wir anfangen würden, alle einzusperren, auf die dieses Kriterium zutrifft. Leider konnte ich heute Vormittag nicht dabei sein, als ihr Johannesson verhört habt. Ich war gerade bei ihm und habe versucht mit ihm zu reden. Er hat nicht geantwortet. Das Einzige, was er sagt ist: ›Ihr könnt mich nicht festhalten. Ich habe nichts Ungesetzliches getan.‹ Meine Frage ist nun: Hat er es oder nicht?«
»Aber natürlich hat er!«
»Und was? Haben wir Beweise für ein Verbrechen? Gibt es Gründe für die Untersuchungshaft?«
Andersson begann langsam wieder seine unkleidsame tomatenrote Farbe anzunehmen. Beherrscht erklärte er: »Er und sein Cousin Bobo Torsson hatten vor, ein Ding zu drehen!«
»Was für ein Ding?«
»Das wissen wir nicht! Irgendwas mit den Hell’s Angels draußen in Billdal. Drogengeschäfte!«
Inez Collin zog eine ihrer diskret betonten Augenbrauen hoch und fragte: »Wisst ihr, ob Johannesson etwas mit der MC-Bande zu tun hat? Habt ihr Beweise?«
»Bobo auf jeden Fall.«
»Aber Sie wissen nicht, ob Johannesson etwas mit ihnen zu schaffen hat? Jedenfalls haben Sie keine Beweise dafür, oder?«
»Er war Mitbesitzer der Kate! Mit Torsson!«
»Das beweist nicht viel. Ich warte mit dem Antrag auf Untersuchungshaft noch ab. Wir versuchen ihn fünf Tage drinnen zu behalten. ›Behinderung der Ermittlungen‹ oder ›Gefahr der Vertuschung von Beweismitteln‹ oder so. Aber wenn ein Anwalt anfängt zu schreien, werde ich Probleme kriegen, das zu begründen. Innerhalb von vier Tagen will ich einen handfesten Verdachtspunkt gegen Lars Johannesson sehen. Sonst müssen wir ihn freilassen. Wir sollten versuchen täglich in Kontakt zu bleiben. Ich bin auch die zuständige Staatsanwältin in dieser Bombensache, die Bo-Ivar Torsson getötet hat. Man meint oben, so sei es am praktischsten. So, und jetzt will ich nicht länger stören. Entschuldigt die Unterbrechung.«
Sie drehte sich um und ging zur Tür. Direkt davor blieb sie noch einmal stehen und wandte sich wieder dem Kommissar zu.
»Ach, apropos Zuständigkeiten. Polizeipräsident Bergström protzte damit, wie gut er über den von-Knecht-Fall informiert sei. Ich habe ein wenig nachgebohrt. Dabei kam heraus, dass er Sie gebeten hat, doch ›so gut zu sein und ihm die vorläufigen internen Berichte zukommen zu lassen‹. Ich habe ihm gesagt, dass ihm ab sofort alle ›internen Berichte‹ über mich zugehen werden, damit die bereits stark unter Arbeitsdruck stehenden Kriminalbeamten nicht so sehr belastet werden. Nur zu Ihrer Information. Also, dann bis später!« Sie rauschte in einer Wolke von Chloé hinaus.
Tommy schnüffelte ihr hinterher und seufzte: »Oh, was für eine Frau!«
»Ja!«
Der Kommissar stimmte diesem Satz zu, aber Irene ahnte, dass die beiden jeweils etwas anderes damit meinten. Doch das war nun auch gleich, jetzt gab es keinen Aufschub mehr. Widerwillig zog sie den ersten Ordner zu sich heran und begann darin zu blättern. Aber die Bilder verschwammen vor ihren Augen, bis es schließlich aus ihr herausplatzte: »Wie viel Zeit hat man eigentlich?«
»Was? Zeit? Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, erklärte der Kommissar großzügig.
Irene konnte nicht verhindern, dass es wie ein Hilfeschrei klang, als sie protestierte: »Nein, nicht für die Täteridentifizierung. Wie viel Zeit hat man, wenn der Splint aus der Handgranate gezogen wurde, bis sie explodiert?«
Das folgende Schweigen war tief und ernst. Schließlich sagte Andersson: »Denk nicht mehr dran. Es ist ja alles gut gegangen.«
»Nein! Es ist nicht alles gut gegangen! Ich bin kaputtgegangen! Meine Seele!«
Andersson schaute sie unsicher an. Stand sie kurz vorm Zusammenbruch? Frauen konnten anscheinend so einen herben Schlag nicht so einfach wegstecken. Aber Irene war eine erprobte Polizeibeamtin, die schon viele brenzlige Situationen erlebt hatte. Eine derartige Reaktion hatte er noch nie bei ihr erlebt. Unschlüssig fragte er: »Was meinst du damit? Wieso?«
»Wieso? Kennst du das Gefühl, solchen Scheißkerlen vollkommen ausgeliefert zu sein? Diese Machtlosigkeit! Bewusstlos geschlagen und entwaffnet zu werden! Voll gepisst und erniedrigt zu werden! Und wir konnten nichts machen. Doch, etwas habe ich gemacht. Ich habe die Granate durchs Fenster rausgeworfen. Und das saust mir die ganze Zeit im
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