Der Novembermörder
Russland im Juni einundvierzig. Sylvia wurde knapp sieben Monate später geboren. Unsere Mutter hat dann einen Cousin ihres toten Mannes geheiratet, also meinen Vater.«
»Hatte das den Grund, dass ein Familiengut in der Familie bleiben sollte oder Ähnliches?«
»Nein, nein. Die Familienbesitztümer lagen im Regierungsbezirk von Viborg, das an Russland abgetreten wurde. Wir hatten nach dem Krieg gar nichts mehr.«
»Lebt Ihr Vater noch?«
»Nein. Er ist vor zehn Jahren an Lungenkrebs gestorben. Er war Kettenraucher.«
»Und Ihre Mutter?«
Irene machte eine Kopfbewegung zur Wohnung hinauf. Arja lachte: »Sie ist putzmunter. Achtundsiebzig Jahre alt. Hört nur, was sie will, aber sonst fehlt ihr nichts. Sie backt gerade Kuchen für die Begräbnisfeier.«
»Für die Begräbnisfeier? Soll es denn nicht ein großes Begräbnis werden, mit allem Pomp und großem Essen?«
Das war keine Ermittlungsfrage, sondern kam spontan aus Irenes Herzen. Arja verzog viel sagend den Mund.
»Wenn Sie meine Schwester so gut kennen, dann wissen Sie auch, dass sie sehr ökonomisch denkt. Das ist wohl noch ein Überrest aus unserer ärmlichen Kindheit. Immer den Schein wahren, aber es darf nichts kosten! Sylvia meint, eine Kaffeegesellschaft für die nächsten Hinterbliebenen reicht. Und raten Sie mal, wer die Butterbrote schmiert!«
Sie zeigte wieder ihr warmes Lächeln, verabschiedete sich von den Polizeibeamten und schloss die schöne Tür hinter sich.
Es handelte sich um eine große Doppelgarage. Der rote BMW war nicht da, aber der Porsche stand an seinem Platz. Sie zogen das Garagentor hinter sich zu und schalteten die Deckenbeleuchtung ein. Der Zeuge zwei Etagen höher hatte Recht. Das Tor quietschte und kreischte schrecklich, als es geöffnet und wieder geschlossen wurde. Es war eine große, breite Garage. Die Wagen hatten reichlich Platz im vorderen Teil. Der hintere Teil wurde offensichtlich als Abstellraum benutzt.
Die gesamte Rückwand war mit Regalen versehen. Auf ihnen standen Kartons, Leitern, Winterreifen, ein Wasserschlauch, Slalomskier, zwei Rennräder in Grünmetallic mit gebogenem Lenker und eine ganze Menge anderer Sachen, Kisten und Kästen. Irene schaute sich nachdenklich um und fragte: »Haben die Techniker eigentlich die Garage ordentlich untersucht?«
Tommy schüttelte den Kopf.
»Nein, nur den Wagen. Und bei dem war das einzige Auffällige, dass es Spuren von Erde oder Sand und Öl im Kofferraum und auf dem Wagenboden gab. Sowohl vor dem Rücksitz als auch auf dem Boden vor dem Beifahrersitz.«
Sie gingen zu dem Auto und öffneten den kleinen Kofferraum. Auf dem Boden waren deutlich einige dunkle Ölflecken zu sehen, in der Größe einer Geldmünze. Ein bisschen Schmutz und Sand war daran kleben geblieben. Im Wagen fanden sie ähnliche Flecken auf den Bodenmatten. Der Wagen war wirklich schön anzusehen. Und bestimmt noch schöner zu fahren. Der schwarze Lederbezug verlieh dem Wagen einen maskulinen Duft. Das kleine, lederbespannte Lenkrad und das hochwertige Armaturenbrett vermittelten den Eindruck, als säße man in einem Cockpit. Was natürlich auch beabsichtigt war. Irene spürte ein leichtes Ziehen im Zwerchfell, als sie sich auf den Fahrersitz setzte.
»Entschuldige Irene, aber bist du jetzt total abgehoben?«
Tommys Stimme holte sie brutal wieder in die Wirklichkeit zurück. Träumerisch sagte sie: »Es hat schon was, in so einem Auto zu sitzen.«
»Dann genieße es nur. Wahrscheinlich kommt es nicht so oft vor, dass du die Gelegenheit hast, in einem Porsche zu sitzen. Aber ich habe da hinten was gefunden. Komm mal.«
Mit einem Seufzer schälte sie sich aus dem wunderbaren Ledersitz und folgte ihm weiter in die Garage hinein. In einer Ecke, eingezwängt zwischen das Ende des Regals und der Wand, stand ein großer Benzinkanister aus grünem Blech.
Tommy versuchte ihn herauszuziehen, was ihm schließlich auch gelang. Er schüttelte ihn und stellte fest: »Leer. Ist nur noch eine Pfütze drin.«
»Wie viel passt in so einen Kanister?«
»Fünfundzwanzig, dreißig Liter. Aber es ist verboten, Benzin in der Garage und ähnlichen Räumen aufzubewahren.«
»Aber der ist doch leer.«
»Stimmt. Aber es war Benzin drin.«
Tommy drehte den Deckel ab und schnupperte an der Öffnung.
»Der kann doch schon geleert gewesen sein, als er hierher gestellt wurde.«
»Möglich.«
Er schien nicht überzeugt zu sein, und Irene musste ihm Recht geben. Sie betrachtete den Kanister und fragte: »Kann es
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