Der Novembermörder
hatte. Oder besser gesagt, von Leilas Sohn.«
Er murmelte vor sich hin, und Irene vermutete ein Trauma, in das sie ihn jetzt lieber nicht gleiten lassen wollte. Schnell sagte sie: »Aber wie wir wissen, hat Henrik ja seinen eigenen Weg gefunden. So weit ich gehört habe, hält er sich die meiste Zeit draußen in Marstrand auf?«
»Ja, dieses Haus hat ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Nach der Krankheit war er apathisch und deprimiert. Er musste wirklich kämpfen, um wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Und er war schwermütig. Aber als Richard beschloss, auf seinem Grundstück am Wasser ein Gästehaus zu bauen, fragte Henrik, ob er nicht auch ein eigenes Haus haben könnte. Er wollte seine Ruhe haben, nehme ich an. Die beiden Häuser wurden gleichzeitig gebaut. Henrik war Feuer und Flamme. Er war von der ersten Sprengung bis zum letzten Dachziegel bei den Bauarbeiten dabei. Das hat ihm physisch und psychisch gut getan. Körperliche Arbeit.«
»Sprengungen?«
»Ja, natürlich, die mussten einiges aus den Felsen raussprengen. Für den Baugrund. Und Henrik fand das spannend. Er ist ja bei den Küstenjägern gewesen. Da lernen sie auch einiges übers Sprengen. Meine Güte, von dem vielen Reden habe ich ja einen ganz trockenen Hals gekriegt. Wollen wir uns nicht ein ganz kleines Glas gönnen?«
Sie lehnte freundlich, aber entschieden ab, während ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Henrik hatte Zugang zu Sprengstoff und wusste, wie man damit umging. Sie mussten nach Marstrand und dort nach Sprengstoff und Zündkapseln suchen. Und nach dieser Lunte, der Pentyllunte. Beweise! Das wären endlich handfeste Beweise. Aber vielleicht war ja auch nichts mehr zu finden. Vielleicht war alles für die Höllenmaschine und Bobos Aktentasche draufgegangen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Valle schon weitersprach.
»… sehr schön da draußen. Aber Charlotte gefällt es nicht. Sie findet es dort zu einsam. Anfangs ist sie noch öfters mit rausgefahren. Aber in letzter Zeit nicht mehr.«
»Wie war Richards Verhältnis zu Charlotte?«
»Gut. Er hat nicht viel von ihr gesprochen. Aber natürlich fand er es schade, dass die beiden keine Kinder kriegen konnten.«
Peng! Da platzte etwas in Irenes Kopf. Zumindest mental. Ohne ihre innere Erregung zu verraten, fragte sie ganz neutral: »Kann sie keine Kinder kriegen?«
»Doch, doch, es liegt an Henrik. Er kann seit seiner Krankheit keine mehr zeugen. Er ist mehrere Male untersucht worden, aber er hat keine lebensfähigen Spermien. Richard hat mir erzählt, dass der Junge absolut unfruchtbar ist.«
»Wusste Charlotte das, als sie ihn geheiratet hat?«
»Ja. Aber ich glaube, das hat sie nicht gestört. Sie wollte sowieso keine Kinder haben, wollte sich nicht die Figur verderben. Wenn man Fotomodell ist, dann muss man schließlich an sein Aussehen denken. Und sie ist ja wirklich ein sehr hübsches Mädchen.«
»Fand Richard sie auch hübsch? Ich meine, hat er etwas in der Richtung gesagt?«
Valle sah sie verwundert an.
»Na, das sieht doch wohl jeder. Jedenfalls finden die meisten normal veranlagten Männer Charlotte ungemein anziehend«, erklärte er mit Nachdruck.
»Hat er jemals mit Ihnen darüber geredet, wie seine Beziehung zu seiner Schwiegertochter war?«
Jetzt sah Valle sie irritiert an.
»Da er selten über sie geredet hat, war sie bestimmt gut. Was hat denn Charlotte mit dem Mord an Richard zu tun?«
Valle und Richard standen sich nahe, da sie sich schon so lange kannten. Aber ganz offensichtlich hatte Richard Valle nie etwas über sein Verhältnis zu Charlotte erzählt. Irene beschloss, das Thema zu wechseln.
»Sie wissen nicht zufällig, mit welchem Taxiunternehmen Sie vom Johanneshus nach Hause gefahren sind?«
»Doch, natürlich weiß ich das. Wir nehmen immer das Gleiche, Richard und ich. Der einzige Taxibetrieb in der Stadt, der nur Mercedes-Modelle hat. Ein kleiner Betrieb, steht aber rund um die Uhr zur Verfügung. Warten Sie, ich hole die Nummer.«
Er schlurfte zu einer Tür, die in ein Arbeitszimmer führte. Eine Wandlampe mit blumenförmigem Glasschirm warf ihr Licht auf einen großen, leeren Schreibtisch aus dunklem, glänzend poliertem Holz. Valle schaltete eine Schreibtischlampe mit marmoriertem Glasschirm ein. Das Licht spiegelte sich in den Glastüren und dem glänzenden Leder. Die Lesesessel waren denen in von Knechts Bibliothek ähnlich. Irene verspürte kurz die Sehnsucht, sich ein Buch aus dem Regal zu nehmen und sich in einen der
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