Der Novembermörder
stellen. Wir haben erfahren, dass Richard von Knecht und Sie, als sie vom Essen im Johanneshus nach Hause gefahren sind, nicht den direkten Weg genommen haben. Richard von Knecht war gegen vier Uhr in der SE-Bank am Kapellplatsen und hat eine größere Geldsumme abgehoben.«
Valle hob die Augenbrauen.
»Wirklich?«
Er blinzelte ihr freundlich zu und schien auf eine Fortsetzung zu waren.
»Erinnern Sie sich nicht daran, dass er in die Bank gegangen ist?«
Da begann Valle zu prusten und keuchen wie eine Dampfmaschine. Ihr wurde klar, dass es sich dabei um Lachen handeln musste.
»Ob ich mich erinnere? Ich schlafe doch immer im Taxi auf dem Heimweg. Immer! Richard weckt mich, wenn wir vor der Haustür angekommen sind. Oder er hat mich geweckt …«
Das fröhliche Prusten verklang, und Wehmut tauchte in seiner Stimme auf. Irene wiederholte seine Aussage noch einmal: »Dann haben Sie an dem betreffenden Dienstagnachmittag also die ganze Zeit im Auto geschlafen, bis es Zeit war auszusteigen?«
»Ja. Ich muss fast sofort eingeschlafen sein. Aufgewacht bin ich davon, dass Richard mich geweckt hat. Wie immer.«
»Können Sie sich dran erinnern, ob er etwas in den Händen hatte?«
Valle gab sich wirklich alle Mühe. Auch Irene fiel auf, wie sehr er doch einem traurigen Seehund ähnelte. Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich.
»Doch, das hatte er tatsächlich. Eine kleine weiße Tüte hatte er in einer Hand. Eine Papiertüte. Hat er das Geld in eine Papiertüte gepackt?«
»Nein. Er war in der Konditorei neben der Bank und hat dort zwei belegte Brote gekauft.«
»Das kann sein. Sylvia und er haben das öfters dienstags gemacht. Sie haben abends nur eine Scheibe Brot gegessen. Wir haben bei unserem Mittagessen nie gespart, so konnte Richard Sylvias Hungerkuren besser ertragen. Schließlich wollte sie immer ballerinenschlank bleiben. Der arme Richard ist dabei ja fast verhungert!«
So weit Irene sich erinnern konnte, stand im Obduktionsbericht keineswegs etwas von schwerer Unterernährung, aber sie beschloss, dieses Thema nicht weiter auszuwalzen.
»Hat er Ihnen etwas über das Geld gesagt? Es war eine ziemlich große Summe, zehntausend Kronen.«
»Wahrscheinlich wollte er etwas einkaufen. Vielleicht etwas anzuziehen.«
Valle klang uninteressiert. Offenbar war er nicht der Meinung, dass es sich um eine größere Summe handelte. Irene hatte den Verdacht, dass man für diesen Betrag nicht einmal einen Sessel bekommen würde.
»Hat er immer Geld abgehoben, wenn er etwas einkaufen wollte?«
Valle dachte nach, mit neu gewecktem Interesse.
»Nein, er hat immer mit der Karte bezahlt. Er wollte kein Geld bei sich haben. Das ist nicht gut, falls man mal überfallen wird. Heutzutage kann man ja nie wissen bei all den Glatzen und Drogenabhängigen.«
Für eine Sekunde tauchte der kahle Kopf ihrer Tochter vor Irenes Augen auf, aber sie schob das Bild schnell zur Seite. Sie deutete auf das Monsterbild und fragte: »Und Henrik hat Ihnen also dabei geholfen, all diese schönen Bilder einzukaufen?«
»Ja. Ein guter Junge. Tüchtig und fleißig. Die Teppiche hat er auch eingekauft. Und den Kronleuchter.«
Er deutete auf das Bild mit dem blauköpfigen Monster und fuhr fort: »Er hat den Kontakt zu Bengt Lindström vermittelt, einem bekannten schwedischen Künstler in Paris. Das ist sein Portrait von mir. Ich habe ihn auch eins von Richard machen lassen – nach einem Foto – und ihm zum sechzigsten Geburtstag geschenkt. Richard war total begeistert. Es war sein Lieblingsgeschenk. Aber das fand Sylvia natürlich nicht. Sie meinte, sie hätten schon genug von Bengt Lindström. Sie war sauer, weil er sich so über das Bild gefreut hat.«
Zu ihrer eigenen Überraschung sah Irene plötzlich, dass es tatsächlich Valle Reuter auf dem Bild war. Der Ausdruck eines gutmütigen Seehunds war auf den Punkt getroffen. Der blaue Seehund hatte ein karmesinrotes Feld im linken Auge, das ganz deutlich sagte: »Pass nur auf, dass du mich nicht unterschätzt!« Nachdem sie schon so zwanglos auf Henrik zu sprechen gekommen waren, beschloss Irene in dieser Hinsicht weiterzubohren, um aus Valle so viele Informationen wie möglich herauszukriegen. Mit freundlichem Interesse fragte sie: »Was meinte denn Richard zur Berufswahl seines Sohns?«
»Nun ja, er war sehr enttäuscht, damals nach Henriks Krankheit. Er war wohl davon ausgegangen, dass sein Sohn seine Geschäfte weiterführen würde. Wie ich es auch von meinem Sohn gehofft
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