Der Novembermörder
wollte bei der Band weiter mitmachen. Darauf war Marcus stinksauer geworden und hatte gesagt: »Wenn du bei dem einen nicht mitmachst, dann kannst du auch nicht bei dem anderen mitmachen. Du musst schon zeigen, wo du stehst!«
Dann hatte er sich auf den Hacken umgedreht und war gegangen. Jenny war natürlich traurig, schließlich war sie in ihn verliebt, glaubte das zumindest. Er war ja der erste Junge, der sie so geküsst hatte, dass ihr die Knie weich wurden. Als Katarina das erzählte, brauste Jenny wieder auf, beruhigte sich aber gleich wieder. Genauso hatte sie es empfunden.
Es war Katarinas Idee, dass sie doch für den Abend »Schindlers Liste« ausleihen sollten. Die Oma wollte ja kommen, und die würde sich bestimmt freuen, einen Film zu gucken, der während ihrer eigenen Kindheit spielte. Der Film handelte von einem Mann, der so tat, als würde er mit den Nazis zusammenarbeiten, aber während der Zeit eine Menge Juden vor den Vernichtungslagern rettete.
Nach dem Film hatte Irenes Mutter erzählt, wie sie als Siebzehnjährige das Kriegsende miterlebt hatte. Von den weißen Rotkreuzbussen, die ihre Ladung halbtoter Menschen abluden. In ihrer Schule waren Duschräume zur Verfügung gestellt worden. Die Schwestern hatten die klapprigen Gerippe aus ihren schmutzigen Lumpen geschält. Sie wurden mit Läusemittel gepudert und mit heißem Wasser und Wurzelbürsten geschrubbt. Ein armer alter Jude bekam solche Angst, als er gegen Läuse gepudert werden sollte, dass er einen Herzinfarkt bekam und daran starb! Er dachte, es wäre Gift. So ein Gift, wie es die Nazis benutzt hatten. Aber sie haben es ja mit Gas gemacht, hatte die Oma erzählt. Sie selbst hatte saubere Kleidung verteilt und denen geholfen, die es nicht schafften, sich allein anzuziehen. Sonderbarerweise hatte sie kein Wort zu Jennys rasiertem Kopf gesagt. Es schien, als sähe sie den gar nicht.
Jenny meinte inzwischen, ihre Schwester hätte nun lange genug geredet. Schließlich ging es doch in erster Linie um sie! Eifrig unterbrach sie deren Schilderung: »Als Oma fertig erzählt hatte, habe ich sie gefragt, ob sie wirklich diese Menschen gesehen hat, die im Konzentrationslager gewesen sind. Und sie hat Ja gesagt. Da habe ich sie gefragt, ob es denn stimmt, dass es Vernichtungslager gegeben hat. Und da hat sie wieder Ja gesagt. Ich habe sie gefragt, warum sie es zugelassen haben. Warum haben die Schweden nicht dagegen protestiert, dass Millionen von Menschen in solchen Lagern umgebracht wurden? Aber darauf konnte sie mir keine Antwort geben. Und dann hat sie gesagt, dass sie in Schweden während des Kriegs nichts davon gewusst haben. Erst als der Krieg vorbei war und Hitler tot, da wurden die Lager geöffnet, und die Leute haben davon erfahren. Ich finde, das klingt einfach unglaublich! Ich meine … dann ist es ja wohl nicht so verwunderlich, wenn man nicht so recht glauben mag, dass es diese Lager gegeben hat, oder? Wenn während des Krieges niemand was dagegen gemacht hat. Sondern einfach alles hat passieren lassen?«
Sie verstummte, und Irene konnte einen leicht entschuldigenden Ton aus ihren letzten Sätzen heraushören. Jenny saß da und kratzte mit ihrem Fingernagel an der Tischkante. Das war ein Zeichen, dass sie über etwas brütete, was ihr schwer fiel zu sagen. Schließlich holte sie tief Luft und sagte: »Du kannst Tommy sagen, dass ich keine Rassistin bin. Er braucht die Freundschaft mit mir nicht zu kündigen. Ich will das nicht! Sag ihm das. Ich bin keine Rassistin, wirklich nicht. Die Texte sind rassistisch. Ich habe sie mir jetzt angehört. Richtig. Und dann habe ich Marcus seine Platten zurückgegeben. Von mir aus kann er sie Marie geben!«
»Ist das diejenige, die eine ›verdammte Pop-Tussi ist‹?«
»Ja, genau! Sie ist wirklich eine Pop-Tussi!«
Es war nicht mehr nötig, um eine Erklärung des Wortes zu bitten. Der Tonfall sagte schon alles. Vorsichtig fragte Irene: »Was ist denn mit Marcus?«
Jenny bekam ganz kleine Augen, aber noch bevor Katarina wieder für sie sprechen konnte, sagte sie mit tränenbelegter Stimme: »Marcus und Marie sind seit gestern zusammen. Sie geht in die Achte.«
»Ist sie auch ein Skinhead?«
»Ne, sie hat pinkfarbenes Haar. Manchmal mit lila Strähnen. Und außerdem hat sie Piercingschmuck. Sie hat einen Ring in der Augenbraue, einen in der Oberlippe und einen in der Nase. Richtig eklig!«
Beide Mädchen waren sich einig, dass das einfach widerlich war, und Irene war nur froh
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