Der Novembermörder
müde und leer. Sie schluckte und brachte heraus: »Geht es dir schon so gut, dass du die Zeitung lesen kannst?«
Er zögerte mit der Antwort: »Nein, noch nicht ganz. Erinnerst du dich an die blonde Schwester mit den Zopf, die reinkam, als du mich das letzte Mal besucht hast? Sie heißt Annelie. Sie liest mir vor. Und außerdem höre ich natürlich Radio.«
»Und wie geht es den Steißwirbeln?«
Er seufzte: »Ich fürchte, die kommen als Nächstes dran. Ich habe etwas Probleme mit dem Pinkeln. Ich kann nicht pinkeln, wenn ich sollte. Und die Schmerzen im Bein sind auch schlimmer geworden. Vor einer Weile war schon eine ganze Horde von Orthopäden hier. In ein paar Tagen soll ich zu denen überwiesen werden. Und die meinten, dass es wohl operiert werden müsste. Aber es wird schon alles werden. Und jetzt geht es mir schon viel besser. Nachdem du die Monster gefasst hast!«
Es war, als würde er intuitiv spüren, dass sie es war, die ein bisschen Aufmunterung brauchte und nicht er. Und es gelang ihr, ein wenig fröhlicher zu klingen, als sie das Gespräch abschloss: »Pass gut auf dich auf. Ich komme morgen, um dich zu besuchen.«
»Klasse! Aber bitte keine Weintrauben. Lieber Süßigkeiten für zwanzig Piepen.«
»Das klingt ganz, als wärst du auf dem Weg der Besserung.«
Für die nächste Unterbrechung sorgte Birgitta, die ihren Kopf in die Tür steckte und fragte, ob Irene nicht dabei sein wollte, wenn sie den Safe öffneten. Irene lächelte säuerlich: »Nur wenn es nicht knallt. Aber Henrik wird es ja wohl kaum geschafft haben, in den Safe einzudringen«, meinte sie trocken.
Es war erst kurz vor halb drei und schon dunkel. Kleine, feste Schneeflocken segelten vereinzelt durch die Luft. Die Hintertür des Kastenwagens wurde geöffnet, und der Mann von Rosengrens kletterte hinein. Mit einem Klick befestigte er eine magnetische Platte an dem Safe. Sie war mit kleinen Lämpchen versehen und mit einer Box verbunden, die wie ein gewöhnlicher Voltmesser aussah. Der Experte drehte an den Knöpfchen, die Lampen blinkten, und plötzlich klickte es in der Safetür. In dem Moment erstarrte der kalte Atemhauch vor den Mündern sämtlicher Anwesender. Vorsichtig öffnete der Experte die Tür, ohne dass eine Explosion folgte. Der Seufzer der Erleichterung erklang unisono.
Der Innenraum des Safes war klein, ungefähr fünfzig mal fünfzig Zentimeter. Birgitta hatte einen Karton mitgebracht, in den sie die Mappen, Schachteln und Umschläge packten. Sie gingen mit dem Karton direkt ins Besprechungszimmer. Der Tisch dort war am besten geeignet, alles auszupacken und zu sortieren.
Mit andächtiger Miene betrachtete Andersson seine fünf anwesenden Inspektoren. Hannu Rauhala und Hans Borg fehlten. Mit schlecht kaschierter Erwartung rieb er sich die Hände und sagte: »Endlich! Jetzt wollen wir mal sehen, ob es hier etwas Brauchbares zu finden gibt. Wir teilen die Sachen unter uns auf, und dann gehen wir sie sorgfältig durch. Alles, was noch mal näher angesehen werden sollte, legen wir in die Mitte vom Tisch. Wenn ihr unsicher seid, dann legt es auch in die Mitte!«
Schnell stellte er sechs Stapel zusammen, die er an die Anwesenden verteilte. Irene bekam ein festes Lederetui, das, wie sich herausstellte, eine Pistole enthielt. Sie sagte beeindruckt: »Wow! Das ist was Reelles. Eine Baretta 92S.«
Andersson schaute verwundert auf.
»Wie zum Teufel ist er denn an die gekommen? Ist die geladen? Überprüf mal, ob er einen Waffenschein hatte«, erklärte er mürrisch.
»Fünfzehn Schuss im Magazin. Aber mehr Munition gibt’s hier nicht, so weit ich sehen kann.«
Alle sahen ihre Dinge durch, ohne weitere Munition finden zu können. Stattdessen stießen sie auf ein paar Medaillen aus verschiedenen Sportarten. Sowie auf eine alte goldene Taschenuhr. Allem Anschein nach hatte sie Richard von Knechts Vater gehört. Auf dem Deckel der alten Uhr waren in zierlicher Schrift die Initialien O.v.K. eingraviert. Otto von Knecht. Irene bewunderte noch die schöne Uhr, als sie den Kommissar aufkeuchen hörte. Seine Gesichtsfarbe wurde wieder dunkler, die Augen kugelrund, und er starrte auf die Fotos, die er aus einem braunen A4-Umschlag gezogen hatte. Langsam stand er auf und warf die Fotos mitten auf den Tisch.
Es handelte sich um zehn Farbfotos ungefähr im gleichen Format wie der Umschlag. Alle aus dem gleichen Winkel fotografiert. Alle mit dem gleichen Motiv. Ein Geschlechtsverkehr, bei dem der Mann die Frau im Stehen von
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