Der Novembermörder
drei Töchter, und keine von ihnen hat auch nur das geringste Interesse, in die Immobilienbranche einzusteigen.«
»So wenig wie du.«
Charlotte mischte sich in das Gespräch ein. Henrik presste die Lippen aufeinander, fuhr dann aber fort, als hätte er den Einwurf seiner Frau gar nicht gehört: »Die Wohnung unter der meiner Eltern steht leer. Da hat der Rechtsanwalt Tore Eiderstam gewohnt.«
»Tore … Tore, Rechtsanwalt …« Irene erinnerte sich an Yvonne Stridners Exehemann. Bewusst gleichgültig fragte sie: »War der nicht mit der Pathologieprofessorin Yvonne Stridner verheiratet?«
»Ha, Tore war viermal verheiratet! Aber wenn Sie es sagen, dann stimmt das wohl. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch zwischen meinen Eltern. Mama sagte irgendwas in der Richtung, wie eklig es doch sei, dass es jemanden in ihrem Freundeskreis gab, der den ganzen Tag in Leichen herumwühlte. Das war das erste Mal, dass ich das Wort ›nekrophil‹ gehört habe.«
Irene begriff mit einem kurzen Gefühl der Sympathie für Yvonne Stridner, dass diese es nicht leicht in diesen Kreisen gehabt hatte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Birgitta Moberg hereingeschlüpft war. Irene wandte sich ihr zu und stellte sie Charlotte und Henrik von Knecht vor.
Kurz berichtete sie Birgitta, was Henrik über die Mieter des Erdgeschosses und ersten Stocks des Hauses berichtet hatte.
»Und jetzt sind wir gerade zum zweiten Stock gekommen. Dort wohnte der Rechtsanwalt Tore Eiderstam, der auch ein alter Freund von Richard von Knecht ist. Sie sagten, er wohnte dort, wohin ist er denn gezogen?«
»Zum Östra-Friedhof, dem Eiderstamschen Familiengrab.«
Weder Irene noch Brigitta wussten darauf etwas zu sagen. Henrik fuhr nach kurzem Schweigen fort: »Er ist im September Knall auf Fall an einem Herzinfarkt gestorben. Die Scheidung von seiner letzten Frau war gerade unter Dach und Fach. Er hat zwei Kinder aus früheren Ehen, und die haben ihn anscheinend beerbt. Es hat sich ziemlich hingezogen, aber jetzt ist die Wohnung geräumt. Zum ersten Dezember zieht ein neuer Mieter ein.«
»Wissen Sie, wer?«
»Ja, natürlich, Ivan Viktors, der Opernsänger. Er ist auch ein alter Freund meiner Eltern.«
»Haben Sie gehört, wie es Ihrer Mutter geht?«
»Mir ist gesagt worden, dass sie sich erholt hat. Ich habe versprochen, sie heute Nachmittag abzuholen.«
Irene nickte und dachte nach. Heute Nachmittag würden die Jungs von der Spurensicherung so ziemlich mit der Wohnung durch sein. Was sie bisher von Sylvia von Knecht gehört hatte, ließ sie den Schluss ziehen, dass die Dame sicherlich über das »Eindringen« der Polizei empört sein würde. Nicht die richtige Atmosphäre, um Informationen zu erfragen. Um die Lage zu sondieren, sagte sie: »Wann wollen Sie sie abholen und in welcher Abteilung befindet sie sich jetzt?«
»Auf Abteilung fünf. Sie möchte um halb vier abgeholt werden, damit sie noch den Nachmittagskaffee mitbekommt.«
»Was meinen Sie, ob es möglich ist, dass ich gegen drei Uhr mit ihr spreche?«
Henrik zuckte nur mit den Achseln. Eine kleine Gedächtnisstütze auf Irenes Block: »PS, Abt. 5 anrufen. Sylvia v. K. 15 Uhr?« Dann würde sie es vielleicht schaffen, bei dem Dackelfrauchen Eva Karlsson vorher vorbeizuschauen. Das lag sowieso auf dem Weg zum Sahlgrenska. Weitere Notiz: »Eva K. um 14 Uhr anrufen.«
Sie schaute von ihrem Block auf und wandte sich an Charlotte.
»Haben Sie von Ihrem Schwiegervater an dem Montag noch mal gehört?«
»Nein.«
»Haben Sie ihn am Dienstag getroffen oder mit ihm gesprochen?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wie die Putzfrau heißt? Sie war doch in der Wohnung und hat sauber gemacht, als Sie kamen, Charlotte?«
Beide schüttelten den Kopf. Endlich mal eine Sache, in der sie sich einig waren.
»Danke, dass Sie so nett waren und hergekommen sind. Wir werden uns sicher im Laufe der Ermittlungen noch häufiger sehen. Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, dann rufen Sie bitte mich oder einen der anderen Inspektoren an. Oder natürlich auch Kommissar Andersson. Wir sind acht Leute, die an diesem Fall arbeiten. Es wird immer jemand zu erreichen sein«, erklärte Irene abschließend in einem freundlichen Tonfall.
Sie stand auf und reichte Henrik die Hand. Seine Hand war eiskalt. Er umfasste Irenes Finger nur mit einem leichten Druck, ließ gleich wieder los. Charlotte streckte ausdrucksvoll ihre frisch manikürte Hand vor, aber ihr Handschlag war wie ein feuchter Wischlappen.
Als Irene wieder allein
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