Der Novembermörder
Lichterketten über den Fußgängerstraßen waren bereits angebracht, und in den meisten Schaufenstern war schon die Weihnachtsdekoration zu sehen. Weihnachten, ach ja. Dieses Jahr freute er sich darauf. Sein Schwager und seine Schwester hatten ihn über die Feiertage zu sich nach Åstol eingeladen. Seine Nichte und deren zwei kleine Knirpse wollten auch kommen. Hoffentlich zog sich dieser Fall nur nicht so lange hin. Andersson hörte auf zu pfeifen und seufzte stattdessen hörbar. Irene hatte etwas von einem »Kulturzusammenstoß« gesagt, und er musste zugeben, dass es reichlich Möglichkeiten für weitere gab.
Die Milieus, in denen sie normalerweise ermittelten, hatten keinerlei Ähnlichkeit mit der exklusiven Wohnung, die er am vorherigen Abend aufgesucht hatte. Häufig waren die Mordtatorte verschissene, stinkende Fixerbuden. Das Opfer meistens nach einer internen Drogenauseinandersetzung mit dem Messer erstochen worden. Auch nicht selten war das Bild eines nach Alkohol stinkenden Mannes am Tatort, der reuevoll herumbrüllte, weil er »aus Versehen« seine Frau totgeschlagen hatte. Prunkvolle Fernsehmorde wie der von-Knecht-Mord finden so gut wie nie statt. Aber wenn sie es doch tun, scheint die Polizei vollkommen ratlos zu sein. Plötzlich gibt es eine ganze Menge empfindliche Zehen, auf die man nicht trampeln darf. Man kann nicht in üblicher Weise die Ermittlungen führen. Das hatte der Polizeipräsident Bengt Bergström bei »dem kleinen Informationstreffen« sehr deutlich unterstrichen, das stattgefunden hatte, kurz bevor Sven Andersson zur Pathologie losfahren musste. Bergström hatte mit ruhiger, vertraulicher Stimme verkündet: »Schließlich handelt es sich hier um eine alte, prominente Göteborger Familie. Da müssen wir äußerst vorsichtig sein mit dem, was eventuell im Laufe der Ermittlungen herauskommt. Du bist ein alter Fuchs und bekannt dafür, dass du auf deine Art arbeitest … sehr erfolgreich, das will ich gern hinzufügen … aber ich möchte unbedingt fortlaufend von dir über den Stand der Ermittlungen unterrichtet werden bla… bla… bla…«
Mit wachsender Unlust begriff Andersson, dass Bergström sehr wohl wusste, dass ein derartiges Vorgehen eigentlich gegen die Regeln verstieß, dies aber hinter Schmeicheleien und einem kameradschaftlichen Ton zu verbergen suchte. Den Polizeipräsidenten unter der Hand über eine noch laufende Ermittlung zu informieren, war nicht gerade die übliche Vorgehensweise.
Andersson schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad und fauchte wütend: »Ein Mord ist ein Mord, und ein Mörder ist ein Mörder! Auch wenn er in einen goldenen Pott gepinkelt hat!«
Die Dame am Zebrastreifen, vor dem Andersson bei rotem Licht hatte halten müssen, sah ihn verwundert an. Beschämt wurde ihm klar, dass er laut geredet hatte, aber zum Glück war das Fenster hochgekurbelt.
Warum regte er sich eigentlich so auf? Aus Angst, es könnte ihm nicht gelingen, diesen Fall zu lösen? Schon möglich, aber er musste zugeben, dass ihn auch das bevorstehende Treffen mit der Professorin Stridner etwas unsicher machte. Sie war hübsch und tüchtig. Aber sie sah ihn nie an. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Sie sah auch sonst keine andere Person an.
Wahrscheinlich musste man erst als – wenn schon nicht hübsche, dann zumindest interessante – Leiche auf ihrem rostfreien Obduktionstisch liegen, dachte er, um ihr Interesse zu wecken.
Der Obduktionsassistent war ein Bodybuilder, der schon seit vielen Jahren in der Pathologie arbeitete. Er nickte Sven Andersson zu und deutete auf eine Treppe, als der Kommissar nach Yvonne Stridner fragte.
Sie saß in ihrem Arbeitszimmer und diktierte in ein kleines Tonbandgerät von der Größe einer Zigarettenpackung.
»… die Leber ist leicht hypotroph, aber ohne deutliche Zeichen von Steatosis. Unter Berücksichtigung der Lebergröße kann man hier von einem Anfangsstadium sprechen. PAD anordnen.«
Dann warf sie Sven Andersson einen kritischen Blick zu und stellte das Diktiergerät aus. Aber im nächsten Moment erkannte sie ihn wieder.
»Sie sind also persönlich gekommen? Die Obduktion ist gerade beendet. Ich hätte Sie sonst angerufen. Aber das brauche ich jetzt ja nicht mehr«, sagte sie zufrieden.
Der Kommissar begrüßte sie und stellte sofort seine wichtigste Frage: »Steht die Todesursache schon fest?«
»Ja, ganz ohne jeden Zweifel. Er starb an dem Aufprall auf die Straße.«
»Soll das etwa heißen, dass es sich ebenso gut um
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