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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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Mit Lachen, Weinen und Zärtlichkeit. Sie konnte ohne Vorbehalt lieben. Und sie glaubte immer noch, dass die Menschen gut sind. Man wird hart, wenn man um sich schlagen muss und zu viel einsteckt.«
    Irene sah, wie sich das Licht der Kerze in Monas Tränen spiegelte. Mehrere Jahre bei der Polizei hatten sie gelehrt, dass der größte Fehler in so einem Augenblick darin besteht, etwas einzuwerfen. Der Vernommene hat das Bedürfnis, von sich zu erzählen. Und als hätte sie Irenes Gedanken gelesen, fuhr Mona in einem geschäftsmäßigeren Ton fort: »Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, habe ich noch nie jemandem außer Jonas erzählt. Es geht niemanden sonst etwas an. Aber nachdem Richard ermordet worden ist, muss alles lückenlos zur Sprache kommen. Ich werde Ihnen erzählen, wie sich alles verhielt und warum weder Jonas noch ich etwas mit dem Mord zu tun haben.«
    Sie unterstrich ihre Rede mit einigen heftigen Gesten, ausholenderen als zu Anfang ihrer Mitteilungen. Das war sicher gleichermaßen ihren aufgewühlten Gefühlen wie auch dem Cognac zuzuschreiben.
    »Nun gut. Es zog sich so bis Weihnachten hin. Richard sagte, er müsste wieder nach Göteborg fahren. Ich war Mitte Dezember in seine Wohnung gezogen und hatte mein Zimmer in der Birger Jarlsgatan gekündigt. Als mir klar wurde, dass er gar nicht daran dachte, mich mitzunehmen und seiner Familie vorzustellen, machte ich ihm endlich die große Szene, die ich schon lange hätte provozieren sollen. Wir stritten uns mehrere Stunden lang. Genauer gesagt: Ich schimpfte mehrere Stunden lang und machte meinem Herzen Luft. Ich war so jung und hatte den Begriff ›konfliktscheu‹ noch nie gehört, aber nach einer Weile merkte ich, dass er sich gar nicht verteidigte. Ich rückte vor, er wich ohne viel Geschicklichkeit zurück. Er war es schlicht und einfach nicht gewohnt, sich zu streiten! Niemand kam je auf die Idee, sich mit dem reizenden, charmanten, reichen und begabten Richard von Knecht zu streiten! Und so war sein ganzes Leben verlaufen. Konfliktfrei. Wenn es unangenehm wurde, dann ging man einfach diskret seiner Wege. Und falls irgendwelche unappetitlichen Rückstände blieben, dann gab es immer jemanden, den man dafür bezahlen konnte, sie zu beseitigen.«
    Mona war nun so aufgewühlt, dass sie nach Irenes noch nicht berührtem Cognac griff. Irene sagte nichts, sie hatte sowieso nicht geplant, ihn zu trinken. Mona brauchte ihn eher.
    »Sein Vater bekam passenderweise einen Blutpfropf und Richard erhielt von seiner Börsenfirma die Erlaubnis, bei ihnen aufzuhören, um nach Göteborg zu ziehen und sich um das Familienimperium zu kümmern. Ja, Sie wissen ja, dass sein Vater Reeder war. Er fuhr also Anfang Januar nach Göteborg. Ich war damals im vierten Monat. Abtreibung war nicht erlaubt und ich hatte sie auch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Insgeheim glaubte ich die ganze Zeit, er würde zu mir zurückkommen. Und zu dem Kind. Er konnte doch nicht einfach sein Kind im Stich lassen? Mein Gott, was war ich naiv!«
    Die Verbitterung in Monas Stimme war nicht zu überhören. Sie kippte die Hälfte des Cognacs in einem Schluck hinunter.
    »Bevor er abhaute, bezahlte er für sechs Monate die Miete. Ich blieb in der Wohnung und ging meinem Studium nach. Während der ganzen Zeit ließ er kein Wort von sich hören. Ich kaufte schließlich ab und zu von meinem mageren Stipendium irgendwelche Illustrierten. Da stand immer etwas über ihn drin: ›Der Kronprinz, der der neue Reedereikönig wird‹, ›Ein begehrter Junggeselle‹. Ich weiß nicht, ob ich das alles gelesen habe. Im Mai sah ich Fotos von einem Ball in Göteborg. Dort hat er Sylvia kennen gelernt.«
    Sie hielt wieder inne und trank den Rest des Cognacs.
    »Da bin ich endlich aus meinem Koma erwacht. Das Kind in mir strampelte. Ich fühlte meine Verantwortung für das kleine Leben. Und plötzlich sah ich ein, dass ich vollkommen allein war und kämpfen musste. Die neue Mona nahm Gestalt an. Ich fing an ihn anzurufen, zu Hause und in seinem Büro. Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er eine Scheißangst hatte. Er wollte nicht, dass seine Mama oder die feine Ballerina von seinen kleinen Eskapaden in Stockholm erfuhren. Plötzlich hatte ich die Oberhand. Und die wollte ich auch ausnutzen. Er bezahlte für weitere sechs Monate die Wohnungsmiete. Um mich zum Schweigen zu bringen natürlich. Ich nahm es ruhig hin und ließ ihn den Sommer über in Frieden. Am dreiundzwanzigsten Juli wurde Jonas geboren. In dem

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