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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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Flügels, die die Welt verbessern wollten. Die Sozialdemokraten sahen sie bereits als eine bürgerliche Partei an. Wenn man bedenkt, wie das Pendel immer wieder in die andere Richtung ausschlägt!«
    Sie lachte wieder heiser und drückte ihren Zigarillo in dem kleinen Glasaschenbecher aus.
    »Ich schlug den Verwaltungszweig ein und habe danach als Beamtin gearbeitet. Zuerst ein paar Jahre in der Kommune von Södertälje. Aber schon Ende der Siebziger bin ich in den privaten Bereich übergewechselt. Die letzten zehn Jahre war ich Personalleiterin in einer EDV-Firma.«
    Erneut hustete sie und spülte den Mund mit dem letzten Schluck Kaffee aus.
    »Mein Leben. Mehr ist da nicht. Das Einzige, was noch passiert ist, das sind Richard und Jonas. Also, zurück zu Richard.«
    Wieder verstummte sie. Ihre Hand zitterte leicht, als sie sich mit den Fingern durch das kurze, sorgfältig gefönte stahlgraue Haar fuhr. Ihr Kellner ließ sich in der Türöffnung blicken, und zu Irenes Verblüffung pfiff Mona ihm leise zu. Als er an ihren Tisch gekommen war, sagte Mona, ohne Irene aus den Augen zu lassen: »Zwei Cognac.«
    Irene versuchte zu protestieren, aber Mona kam ihr zuvor, indem sie ihre Hand auf Irenes legte.
     
    »Richard und ich lernten uns an einem wunderbaren Aprilabend auf dem Mosebacke kennen. Es war Frühlingsduft in der Luft, obwohl es noch gar nicht so warm war. Ich lief ziellos herum und fühlte mich sehr allein. Eine Beziehung mit einem Jungen auf der Hochschule war gerade in die Brüche gegangen. Er und all die anderen Kerle standen mir bis zum Hals. Ich saß auf einer Bank und versuchte an gar nichts zu denken. Plötzlich setzte sich ein Mann neben mich. Ich erschrak fürchterlich und das war natürlich zu sehen. Wir kamen ins Gespräch und die Zeit verging wie im Fluge. Um ihn herum war nichts als … Lebensfreude zu verspüren. Ja, das ist wohl das Wort, das ich mit Richard verbinde. Lebensfreude. Das hat Jonas mit seinem Vater gemeinsam. Nie, niemals habe ich Ähnliches erlebt!«
    Mona unterbrach sich, um einen neuen Zigarillo anzuzünden.
    »Mir war klar, dass er älter war als ich. So weltgewandt! Ich war geblendet und beeindruckt. Sicher, ich sah damals gut aus, aber nie hatte mich jemand so gesehen, wie Richard es tat. Er fand, dass alles, was ich sagte, so intelligent klang. Und alles, was er sagte, klang in meinen Ohren spannend und exotisch. Wir redeten mehrere Stunden miteinander. Dann gingen wir in seine Wohnung in der Fjällgatan. Wir tranken zusammen eine Flasche Wein und liebten uns drei Tage lang. Und ich blieb den restlichen April und den ganzen Mai bei ihm. Mein Zimmer in der Birger Jarlsgatan behielt ich, aber ich war nur selten dort. Im Juni und Juli fuhr er nach Göteborg. Er musste seinem Vater in der Reederei helfen und hatte anschließend Urlaub, wie er sagte. Später erfuhr ich, dass sie Madeleine hieß. Die beiden hatten eine heiße Romanze, doch sie war verheiratet. Aber ich, die weder irgendwelche Zeitschriften las noch Freundinnen hatte, mit denen ich hätte tratschen können, ich hatte keine Ahnung. Es dauerte bis Anfang September, dann endlich ließ er wieder von sich hören. Und ich war glücklich wie eine Idiotin. Fragte nichts, wollte gar nichts wissen. Nur lieben und geliebt werden. Ende November merkte ich, dass ich schwanger war. Ich war nicht überglücklich, ging aber davon aus, dass sich das schon regeln ließe. Richard hatte schließlich einen guten Posten und verdiente reichlich. Ich würde eben für ein Jahr mein Studium unterbrechen. Danach würden wir uns dann ein Kindermädchen besorgen. Und vorher würden wir natürlich heiraten. So dachte ich. Nie hatte Richard mich auch nur ahnen lassen, was er davon hielt, an mich und ein zu erwartendes Kind gefesselt zu sein! An Heirat dachte er überhaupt nicht. Zumindest nicht an eine Heirat mit mir. Doch er sagte nichts, war weiterhin gleich charmant und lieb zu mir wie nie zuvor. Aber er machte mehr Überstunden. Er brauchte das Geld, wenn das Kind käme, erklärte er. Und ich glaubte nur zu gern, dass er die Wahrheit sagte.«
    Sie brach ab und warf Irene einen scharfen Blick zu, bevor sie fortfuhr: »Das klingt für Sie wahrscheinlich vollkommen dumm. Was für eine Gans ich doch gewesen bin! Aber Sie müssen wissen, dass ich über einen anderen Menschen rede, als ich heute bin. Die, von der ich erzähle, die gibt es nicht mehr. Sie ist schon seit vielen Jahren verschwunden, aber sie war ein richtiger, vollständiger Mensch.

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