Der Novembermörder
Söder ihr zeigen wollte und als so wichtig für die Ermittlungen ansah? Fand sich die Lösung des von-Knecht-Falls vielleicht in Stockholm? Sie hoffte nur, dass sie es noch schaffen würde, mit dem letzten Zug um halb neun Uhr abends zurückzufahren.
Es war kein Problem, mit der T-Bahn in die Gamla Stan zu fahren. Obwohl es bitterkalt wehte, schien eine blasse Wintersonne hier und da durch die Wolken. Nachdem sie durch enge Gassen flaniert war und ein paar kleine Geschäfte aufgesucht hatte, ging sie zielstrebig zur Nygränd und den »Fern Små Hus«, den fünf schmalen Häusern. Lustiger Name für ein Restaurant, von dem ja wohl anzunehmen war, dass es nur in einem Haus lag. Aber wenn man genauer hinsah, dann waren es tatsächlich fünf verschiedene Hausfassaden, dicht nebeneinander. Sie variierten etwas in der Fassadendekoration und waren in unterschiedlichen Farben bemalt.
Im Lokal schlug ihr angenehme Wärme entgegen, als sie durch die schwere alte Holztür trat. Eine Oberkellnerin mittleren Alters nickte ihr freundlich zu. Ganz impulsiv fragte Irene sie, warum das Restaurant »Fem Små Hus« hieß. Die Oberkellnerin schien nicht überrascht von der Frage, wahrscheinlich hatten sie das im Laufe der Jahre schon viele gefragt. Freundlich erklärte sie: »Das Restaurant erstreckt sich, wie der Name schon sagt, über fünf kleine Häuser. Es umfasst von allen das Erdgeschoss und den Keller und geht bei einigen auch noch über den ersten Stock. Wie Sie dort hinten sehen, kann man am Gewölbe und den Treppen den jeweiligen Übergang zum nächsten Haus erkennen. Schon seit dem sechzehnten Jahrhundert hat es in diesen Häusern kleine Wirtshäuser gegeben. Auch welche ohne Konzession. Dann wurden die Räume teilweise als Kohlenkeller benutzt. Anfang dieses Jahrhunderts wurden hier kleine Wohnungen eingerichtet. Hier wohnten zum Beispiel viele Schauspieler und Balletttänzerinnen.«
»Wie interessant. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mir das zu erzählen. Man spürt hier wirklich Bellmans Atem noch im Nacken.«
Die freundliche Oberkellnerin lachte leise.
»Wollen wir lieber hoffen, dass Sie den nicht spüren. Ich könnte mir denken, davon würde Ihnen der Appetit vergehen. Wo möchten Sie sitzen?«
»Ich bin um drei Uhr mit Frau Söder verabredet.«
»Sie ist bereits gekommen. Bitte, folgen Sie mir.«
Sie lotste Irene zwischen Tischen mit strahlend weißen Decken hindurch, Stufen hinunter und durch enge Gewölbe hindurch. Schließlich hatte Irene die Orientierung verloren. Wo sie doch normalerweise einen so guten Ortssinn besaß! Ganz hinten im letzten Raum saß eine Frau allein an einem Tisch. Irenes Augen hatten sich inzwischen an das schwache Licht im Gewölbe gewöhnt, aber sie hatte immer noch Schwierigkeiten, zu erkennen, wie die Frau in der dunklen Ecke aussah. Als Irene herantrat, stand diese langsam auf. Mona Söder war nur wenige Zentimeter kleiner als Irene. Sie war kräftig, aber in keiner Weise dick. Kraft, das war das Wort, das Irene in den Kopf kam, als sie Mona die Hand schüttelte und sich vorstellte. Aber es handelte sich dabei nicht um so eine übersprudelnde Energie, die anderen die Luft zum Atmen nahm. Eher eine ruhige, sichere und autoritäre Stärke. Irene zweifelte keinen Moment daran, dass Mona eine außergewöhnlich gute Chefin war. Mona Söder machte eine einladende Geste zum Stuhl auf der anderen Seite des Tisches hin.
»Setzen Sie sich doch. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich schon bestellt habe. Sind Sie einverstanden mit gegrillten Heringen und als Dessert Pflaumenkuchen mit Vanilleeis?«
»Das klingt phantastisch.«
Irene hatte erst einmal diese Spezialität gegessen. Aber da konnte man eher von angebrannten Heringen mit Kartoffelstampfe sprechen.
Mona wandte sich dem Kellner zu, der sich lautlos ihrem Tisch genähert hatte.
»Wir hätten gern zwei große Bier und zwei Aalborg Aquavit«, sagte sie.
Irene zuckte zusammen. Nun reichte es aber mit der Bevormundung.
»Nein, danke. Ich möchte lieber ein großes alkoholfreies Bier und keinen Schnaps für mich«, widersprach sie schnell.
Auf Monas Stirn zwar zwischen den Augenbrauen eine kleine Falte zu sehen, aber sie zuckte nur mit den Schulten und winkte den jungen Mann mit seinen Aufträgen davon. Sie lachte kurz und trocken auf.
»Denken Sie bloß nicht, ich würde mich bei jedem Essen besaufen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, als wären ein paar Promille das Einzige, was einen noch aufrecht
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