Der Novembermörder
die Zehen ab. Das werden sie bei meiner Beerdigung tun. Schlechte Planung von mir. Andererseits kann es ja auch viel Schnee geben und das wird dann schön mit den Blumen im Schnee. Aber auch kalt im Grab.«
Seine Brust hob sich deutlich und sein Atem rasselte unheilvoll. Er machte ein paar tiefe Atemzüge und schloss dann die Augen. Seine Kraft war zu Ende und nach kurzer Zeit schlief er ein. Mona machte Irene ein Zeichen, mit ihr auf den Flur zu gehen.
»Es ist fast sieben. Schaffen Sie es noch zum Zug zurück nach Göteborg? Sonst können Sie auch gern bei mir schlafen«, sagte sie.
»Vielen Dank, aber das schaffe ich. Der Zug geht um halb neun.«
»Soll ich Sie hinfahren?«
»Nein, ich nehme ein Taxi.«
Für einen Moment standen beide schweigend da. Dann machten beide gleichzeitig einen Schritt auf ihr Gegenüber zu und umarmten einander mit unsicheren Bewegungen. Verlegen murmelten sie: »Wir hören von einander« und: »Ich rufe an, wenn es etwas Neues gibt«. Schnell eilte Irene danach zum Fahrstuhl. Im Hals hatte sie einen brennenden Kloß und ihr Blick wurde durch Tränen getrübt.
Natürlich war sie wieder da. Genauso grau und korrekt wie auf der Hinfahrt. Sie saß diesmal einige Reihen weiter hinten, mit dem gleichen Ordner auf dem Schoß. Irene hatte kurz die Vision, diese graue Dame könnte ihre Tage im X2000 sitzend verbringen, hin und zurück, hin und zurück, hin und … Irene konnte nicht an sich halten. Noch bevor sie sich setzte, bedachte sie die graue Frau mit einem Filmstarlächeln. Als Antwort bekam sie einen Blick aus weit aufgerissenen Augen, voller nackter Angst. Darin war die Panik zu lesen, mit einer vollkommen Verrückten in einem Schnellzug eingesperrt zu sein, ohne die Möglichkeit, ihr zu entkommen!
Gute Gewohnheiten soll man beibehalten. Nach einer Viertelstunde schlief die Inspektorin einen unruhigen, traumerfüllten Schlaf.
Irgendwo im Dunkel lauerte der Schrecken. Vor sich sah sie Jenny und Katarina. Unbekümmert gingen sie direkt auf die drohende Dunkelheit zu. Irene versuchte zu rufen, um sie zu warnen, bemerkte aber, dass sie stumm war. Da kein Ton heraus kam, wenn sie schreien wollte, versuchte sie stattdessen, sie einzuholen. Aber etwas hielt ihre Füße fest. Hinter den Rücken der Mädchen schloss sich wieder die Dunkelheit und schluckte sie ganz und gar.
Sie wachte mit einem Ruck auf, ängstliches Schluchzen im Brustkorb, nur um festzustellen, dass ihr rechter Fuß sich einfach zwischen den Vordersitzen verkeilt hatte.
KAPITEL 10
Kommissar Andersson kam gerade aus dem Zimmer des Polizeipräsidenten, als er Irene im Fahrstuhl verschwinden sah, auf dem Weg zur Zentrale und weiter nach Stockholm. Ganz spontan wollte er sie schon zurückrufen. Es wäre doch zu schön, an ihrer Stelle fahren zu können. Bengt Bergströms Forderung, »kontinuierlich auf dem Laufenden gehalten zu werden« war einfach lästig. Nein, so eine kurze Reise nach Stockholm, die würde ihm jetzt gut passen. Apropos passen … mit einem Seufzer musste er sich eingestehen, dass Irene ja wohl schlecht die Hose an seiner statt anprobieren konnte.
Um sich wenigstens ein kleines bisschen aufzumuntern, beschloss er, zumindest Ivan Viktors Guten Tag zu sagen. Schließlich trifft man seine Idole nicht jeden Tag bei der Arbeit, das musste man ausnutzen. Er klopfte an und hörte von drinnen Jonnys irritierte Stimme rufen: »Was ist denn nun schon wieder? Sehen Sie denn nicht, dass ich Be … Ach, Entschuldigung! Das hier ist der Kommissar.«
Den letzten Satz sagte er zu einem Mann mit silbergrauem, distinguiertem Aussehen. Als dieser zur Begrüßung aufstand, sah Andersson, dass er fast einen Kopf größer war als er selbst.
»Kommissar Sven Andersson. Guten Tag.«
»Guten Tag. Ivan Viktors.«
Seine Stimme war tief und wohlklingend. Er lächelte freundlich und, wie es schien, echt. Andersson machte eine entschuldigende Geste.
»Ich wollte nur einmal hereinschauen und die Gelegenheit nutzen, um Sie zu begrüßen.«
Ivan Viktors beugte sich zum Kommissar und sagte mit konspirativer Stimme: »Inspektor Blom ist dabei, meine geheimnisvollen Aktionen einzukreisen.«
Jonny bekam rote Ohren und las wütend laut aus seinen Notizen vor.
»Sie haben am Sonntag den Nachmittagszug nach Stockholm genommen. Haben dort einen älteren Bruder im Karolinska besucht. Warum liegt er im Krankenhaus?«
»Wegen eines komplizierten Oberschenkelknochenbruchs und einer Gehirnerschütterung. Er ist vor einer Woche
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