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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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operiert worden. Alte Knacker sollen eben nicht mehr über die Straße laufen, wenn die Ampel schon auf Rot umgesprungen ist. Auch wenn sie glauben, sie würden es noch schaffen!«
    Viktors versuchte einen spaßhaften Ton anzuschlagen, aber Andersson hörte die Unruhe aus den Worten heraus. Schnell warf er eine Frage ein: »Ist es was Ernstes?«
    »Jetzt nicht mehr. Er hat sich berappelt.«
    Jonny schaute wieder in seine Papiere und las weiter laut vor: »Am Montagmorgen um neun Uhr hatte V. einen Schüler. Sie haben bis sechzehn Uhr geprobt. Nur vom Mittagessen um zwölf unterbrochen.«
    »V? Bin ich das?«
    Ivan Viktors ließ ein moussierendes Lachen vernehmen, das in Anderssons Ohren wie ein absolut glockenreines A-Dur klang. Jonny wurde sauer und sah den Opernsänger verkniffen an.
    »Ich kürze die Namen in meinen Notizen immer ab! Der Name des Schülers ist Claes Winer. Ich habe Telefonnummer und Adresse notiert und werde das später überprüfen.«
    Andersson nickte und sah, wie Ivan Viktors schmunzelnd Jonny beobachtete. Nichts am Auftreten des Mannes wirkte in irgendeiner Form angespannt oder unsicher. Ganz im Gegenteil, in seiner selbstsicheren Eleganz erschien er kein bisschen von der trüben Büroatmosphäre des Hauses beeinflusst zu werden, er schien keinerlei Probleme zu haben, sich hier richtig zu verhalten, was er wohl auch sonst nie hatte. Andersson fiel ein, dass routinierte Opernsänger auch gute Schauspieler sind. Viktors wandte sich direkt an Andersson.
    »Soweit sind der Inspektor und ich gekommen, bevor der Kommissar hereinkam. Am Dienstagmorgen bin ich direkt von Stockholm nach Kopenhagen geflogen. Dort habe ich ein vorzügliches Essen mit ein paar alten Freunden vom Det Kongelige Teater genossen. Sie hatten mich während der Aufführung von Wagners fliegendem Holländer aufgesucht. Der junge Mann, der meine alte Paraderolle singen sollte, hatte offenbar Probleme, rechtzeitig ins Bett zu finden, wie man so sagt. Und das ist wirklich keine leichte Partitur. Ich kann mich noch erinnern …«
    »In welchem Hotel haben Sie gewohnt?«
    Dass Inspektor Blom alle fliegenden Holländer der Welt herzlich gleichgültig waren, war seinem Ton deutlich zu entnehmen.
    »Hotel? Ach so, ja, im Admiral.«
    »Und in Stockholm?«
    Für den Bruchteil einer Sekunde verlor Viktors seine weltgewandte Sicherheit. Aber das ging so schnell, dass sich Andersson hinterher gar nicht mehr sicher war, ob er das richtig bemerkt hatte.
    »In Stockholm? Natürlich in der Wohnung meines Bruders. Er hat eine wunderbare Wohnung am Strandvägen. Ganz oben.«
    Jonny Blom schoss seine Fragen in einem wütenden Stakkato ab: »Ist er allein stehend?«
    »Ja. Und nein. Er ist geschieden, lebt jetzt aber mehr oder weniger mit einer Amtsrichterin vom Sunne Amtsgericht zusammen. Sie ist Wochenendpendlerin. Mein Bruder hat aus seiner Ehe einen Sohn. Dieser hat drei entzückende Kinder, die ich einfach als meine Enkelkinder bezeichne. Leider haben meine Frau und ich nie Kinder bekommen. Und folglich gibt es natürlich auch keine Enkelkinder.«
    Das versetzte dem Kommissar einen leichten Stich. Das kannte er selbst. Sonderbarerweise hatte er erst in den letzten Jahren eine gewisse Sehnsucht nach Kindern und Enkelkindern verspürt. Aber er hatte ja die Kinder seiner Nichte als Ersatz. Das klappte ganz gut, da er sie höchstens dreimal im Jahr traf. Ob es Ivan Viktors ähnlich ging?
    Jonny sah reichlich sauer aus. Andersson konnte zunächst gar nicht verstehen, warum. Aber nach einer Weile wurde ihm klar, dass es nicht nur Viktors aufreizendes Verhalten war, sondern auch seine eigene Anwesenheit, die störte. Der Kommissar musste sich eingestehen, dass da was dran war. Eigentlich war Jonny mit seiner plumpen, unsensiblen Art genau der Richtige, um Leute zu vernehmen. Vor allem natürlich die härteren Kaliber. Im Augenblick saß der Inspektor Ivan Viktors gegenüber, betrachtete ihn wortlos, während seine grauen Zellen auf Hochtouren arbeiteten. Schließlich entschloss er sich, seinen nächsten Stoß abzugeben. Kurz sagte er: »Waren Sie allein in der Wohnung?«
    Ganz offensichtlich brachte diese Frage Viktors aus der Fassung. Ihm stieg die Röte ins Gesicht. Er sah aus, als stünde er kurz vor einem Blutsturz. Aber schnell sammelte er sich und machte einen tapferen Versuch, empört zu klingen: »Was meinen Sie damit? Das ist doch wohl selbstverständlich«, sagte er mit lauter Stimme.
    Jonny spürte die Lüge. Ihm kam eine Idee und er beugte

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