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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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sie zu Jonas: »Hallo. Aber das ist wirklich nicht einer seiner besten Titel. Oder sogar Platten.«
    Er schien sie nicht zu hören, doch nach einer Weile hob er halb die geschlossenen Augenlider.
    »Hallo. Nein, diese Scheibe gehört nicht zu seinen Besten«, antwortete er matt.
    Er hustete so heftig, dass der ganze Oberkörper geschüttelt wurde.
    Irene hatte die schlimmsten Befürchtungen gehabt, was Jonas’ Anblick anging. Sie hatte Angst, er könnte wie ein zitterndes Skelett aussehen, nach den eigenen Exkrementen stinkend, pickelig, glatzköpfig und voller Wunden. Aber er war immer noch ein schöner Mann. Mager, aber zweifellos den Fotos ähnlich, die sie von dem jungen Richard von Knecht gesehen hatte. Das dunkelblonde Haar war kurz geschnitten. Jetzt hatte er seine Augen geöffnet und sie konnte sehen, dass sie intensiv blau waren, trotz des Spinnennetzes des Morphiums über seinem Bewusstsein. Er musterte sie mit seinem Blick und das Lächeln, das er ihr schenkte, war ganz offenbar von dieser Welt.
    »Sie sind Irene. Mama hat mir von Ihnen erzählt.«
    Ein leichter Hustenanfall unterbrach ihn. Irene nutzte die Gelegenheit, Mona eine fragend hochgezogene Augenbraue zu zeigen. Diese schüttelte den Kopf. Also hatte sie nicht gesagt, dass Irene von der Polizei war. Aber was hatte sie dann gesagt? Mona spürte ihre Frage und sagte mit vollkommen natürlichem Tonfall: »Ja, das ist wirklich Glück, dass du bei Swedish Data angefangen hast. So habe ich nicht nur eine tüchtige Mitarbeiterin, sondern auch noch eine gute Freundin gewonnen.«
    Ganz offensichtlich war hier noch eine geborene Lügnerin. Um ein beruhigendes Signal zu geben, erwiderte Irene: »Entschuldigt, dass es etwas gedauert hat. Aber ich habe mit dem Personal gesprochen. Offenbar war das Telefon hier doch in Ordnung, als ich Dienstag versucht habe dich hier anzurufen. Wahrscheinlich hast du nur den Stecker von Jonas’ Telefon rausgezogen, weil er geschlafen hat?«
    Mona sah ungemein erleichtert aus. Aber ihre Stimme verriet nichts, als sie antwortete: »Das kann schon sein.«
    »Aber das ist ja nun nicht mehr wichtig.«
    Letzteres sagte Irene an Jonas gerichtet, der aber kein bisschen interessiert wirkte. Er schaute zu dem Tropfgalgen hinauf. Die gelbe Flüssigkeit in der kleinen Flasche war fast zu Ende. Die große Tüte, die daneben hing, war mit einem wasserklaren Inhalt gefüllt. Darauf stand eine ganze Menge Text. Vermutlich enthielt sie unzählige wichtige, nützliche Stoffe. Ohne zu zögern, klemmte Mona den Tropf ab, indem sie das rote Plastikrad an dem Schlauch drehte. Der Schlauch führte zu einem weiteren Tropfventil, das an Jonas’ Schlüsselbein befestigt war. Irene überlief ein Schauer als ihr bewusst wurde, dass der Katheter selbst direkt durch die Haut in seinen Hals führte. Die Einstichstelle war von einer dicken Kompresse verdeckt. Jonas sah sie wieder an und fragte: »Mögen Sie Freddie Mercury?«
    »Nicht besonders als Solist. Er war besser bei ›Queen‹.«
    Jonas nickte. Er schaute Irene schelmisch an.
    »Wir haben viel gemeinsam, Freddie und ich. Wir sind beide schwul. In unseren Totenscheinen wird die Nachwelt die gleiche Todesursache lesen können. Aids. Und wir sind zu jung gestorben.«
    Ein heftiger Hustenanfall überfiel ihn. Als er wieder ihren Blick einfangen wollte, sah sie, dass seine Augen wegrutschten. Wahrscheinlich hatte er vor kurzem Morphium bekommen, das sich jetzt bemerkbar machte. Er atmete mühsam und versuchte vorsichtig zu sprechen, um ein Husten zu vermeiden.
    »Mama, gib mir den Sauerstoff«, presste er hervor.
    Die Sauerstoffmaske hing über dem Bettpfosten. Mona zog sie ihm geschickt und gleichzeitig vorsichtig über den Kopf. Sie sah wie ein durchsichtiges Pferdegeschirr aus. Unter der Nase war eine Verdickung mit zwei Löchern, die Mona direkt unter Jonas’ Nasenlöcher platzierte. Ohne zu zögern, drehte sie den Regler an der Wand auf. Der Sauerstoffmesser an der Wand erwachte zum Leben, als es leise in dem Schlauch zu surren begann.
    Da sah Irene das Bild. Zwei große gelbe Schmetterlinge mit schwarzer Zeichnung auf den Flügeln flogen über eine atemlose Landschaft, mit einem funkelnden Wasserlauf unten im Tal und blau getönten Bergen in der Ferne. Im Vordergrund waren hübsche Wiesenblumen zu sehen. Die blauen Vergissmeinnicht dominierten, aber es gab auch Tupfer von weißen und rosa Blumen, die Irene zwar kannte, deren Namen sie aber nicht wusste. Sie kamen dem Betrachter so nahe, dass

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