Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
ein Vampir sie besitzt.«
»Aber warum ihn dann noch in den Hals beißen?«, fragte Tarō.
»Ich glaube«, sagte Shūsaku, »das muss eine Art Botschaft sein. Wer auch immer diesen Mann getötet hat, wollte deutlich machen, dass ein Vampir das getan hat. Und dann den Leichnam offen am Straßenrand liegen lassen … es ist beinahe, als hätte der Mörder gewollt, dass die Leute den Toten finden. Oder sogar, dass wir ihn finden.«
Tarō schauderte. Diese Ebene behagte ihm ohnehin schon nicht. Bei der Vorstellung, dass ihnen womöglich weiter vorn jemand auflauerte – jemand, der ihnen Böses wollte und ein Mörder war –, fühlte er sich noch schutzloser und verletzlicher als zuvor.
Shūsaku erging es offenbar ähnlich, denn er suchte immer wieder die Straße vor und hinter ihnen ab. »Wir müssen einen Karren oder so etwas finden«, sagte er. »Wir sollten nicht auf der offenen Straße bleiben.«
Kapitel 58
Es dauerte nicht lange, bis sie einen Bauern mit einem Planwagen fanden, der für ein paar Goldmünzen aus Shūsakus scheinbar unerschöpflichem Vorrat bereit war, sie auf der Ladefläche seines Karrens zu verstecken. Der Wagen enthielt Reis. Shūsakus Gold sorgte jedoch dafür, dass kurze Zeit später kleine, glänzende Häufchen Reis die Straße säumten.
Ein scharfes Auge hätte außerdem Holzstücke und Sägespäne daneben entdeckt, die darauf hinwiesen, dass jemand mit Brettern gezimmert hatte.
Und so legten sie einen ganzen Nachtmarsch binnen einer Handvoll Räucherstäbchen zurück, während sie von den Achsen des einfachen Wagens durchgerüttelt wurden und dem tiefen Blöken des Wasserbüffels lauschten, der sie zog. Sie brauchten auch nicht anzuhalten, als die Sonne aufging. Das straffe, dicke Segeltuch, mit dem das halbkreisförmige Wagendach-Gestell bedeckt war, hielt die Sonne ebenso ab wie den leichten Regen, der am späten Vormittag einsetzte.
Dann, in einem kleinen Dorf, trafen sie auf Kira Kenji und seine Männer, und hier verloren sie einen ihrer Gefährten – der zappelnd und zuckend auf jenen schwarzen Strand geworfen wurde.
Kapitel 59
Tarō spürte, wie der Karren stehen blieb. Der Bauer, der vor der Plane saß und mit den Zügeln in der Hand ununterbrochen auf seinen Büffel eingeredet hatte, verstummte plötzlich.
»Halt. Was hast du geladen?«
Tarō erkannte die hochmütige Stimme von Kira Kenji, dem so genannten Samurai, der den alten Mann in den Bergen getötet und nach ihm gesucht hatte. Seine Wirbelsäule schien sich in einen Eiszapfen zu verwandeln. Jetzt hörte er das mürrische Schnauben, Trappeln und Scharren mehrerer Pferde, die den Wagen umkreisten.
Das war schlecht.
»N-n-nichts«, sagte der Bauer.
»Nichts?«, fragte Kira sehr sanft. »Das ist aber ein großer Wagen, um nichts darin herumzufahren. Was sollte ein Mann wie du wohl mit so viel nichts anfangen?«
»Äh …«
Tarō hörte, wie ein Katana aus der Scheide gezogen wurde. Das Geräusch war unverkennbar. Es ähnelte dem leisen Zischen, mit dem das Blut aus dem Hals eines Mannes schoss, wenn man ihn mit ebendiesem Katana aufgeschlitzt hatte. Tarō hoffte sehr, dass er dieses zweite Geräusch nicht hören würde.
»Bitte, verehrte Herren –«, begann der Bauer.
»Genug«, sagte Kira. »Du schwitzt. Du bringst nicht einmal den einfachsten Satz zustande. Und du behauptest, nur leere Luft in einem Wagen zu transportieren, der groß genug wäre für einen ganzen Jahresvorrat Reis. Entweder sagst du mir sofort, was du im Schilde führst, oder ich bringe dich um. Ob du den Mund aufmachst und mir sagst, was ich wissen will, oder nicht – ich werde in diesen Wagen schauen. Ich suche … wertvolle Schmuggelware. Wir wissen von einem vertrauenswürdigen Jäger aus dieser Gegend, dass das, was wir suchen, ganz in der Nähe sein muss. Vielleicht ist es ja direkt hinter dir.«
Tarō spürte Shūsakus Hand auf seinem Arm, als er sich mit angehaltenem Atem hinkniete, um durch einen Spalt zwischen den untersten Brettern der Wagenwand zu spähen. Er hatte ein Tuch hineingestopft, um das Sonnenlicht abzuhalten. »Bleib hier«, flüsterte der Ninja. »Tu nichts Unüberlegtes. Er hat viele Männer dabei.«
Tarō nickte, obwohl er drauf brannte, auszusteigen und dem alten Bauern beizustehen. Auch der alte Zorn auf Shūsaku und seine Ehrlosigkeit begann wieder in ihm zu brodeln. Tarō würde nicht noch einmal zusehen, wie Kira einen unschuldigen alten Mann tötete, auch wenn er inzwischen etwas von dem
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