Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Pragmatismus des Ninja angenommen hatte. Vorerst würde er stillhalten. Aber wenn es Zeit wurde einzugreifen, würde er eingreifen.
Er drückte das Auge an den Spalt und zog das Tuch nur ein wenig beiseite, damit er hinausschauen konnte, ohne dass Sonnenlicht zu Shūsaku hereindrang.
Draußen saß Kira auf seinem Pferd direkt vor dem Büffel. Somit stand das Tier zwischen ihm und dem Bauern, der auf seinem erhöhten Kutschbock hockte und die Zügel in den zitternden Händen hielt. Das ist gut , dachte Tarō. Kira wird einen Moment brauchen, um sein Pferd bis an den Wagen zu bringen, falls er beschließt, den Mann zu töten.
Doch Kira hatte sein Schwert gezogen, ebenso wie die Männer, die links und rechts von ihm auf ihren Pferden saßen. Es waren mindestens ein Dutzend Krieger, alle mit den gehörnten Helmen von Odas Samurai und so schwer gerüstet, dass Pfeile ihnen nichts anhaben konnten. Tarō fluchte im Stillen.
Trotzdem rauschte ihm das Blut in den Ohren. Ehre , dachte er. Als ich noch klein war, habe ich von Ruhm und Ehre geträumt. Ich wollte ein Held sein. Vielleicht war es doch nicht so dumm, von so etwas zu träumen.
Er wandte sich Shūsaku zu. »Es tut mir leid«, flüsterte er und schob sich rasch auf das hintere Ende des Wagens zu, um nach draußen –
Er prallte hart auf den Holzboden. Er spürte und hörte, wie seine Nase brach, und warmes Blut spritzte ihm in die Augen. Der Schmerz war entsetzlich. »Was zum –«, begann er, und dann spürte er das Seil, das seine Fußknöchel aneinanderfesselte.
Er hörte Kira draußen sagen: »Was war das?«
Die Stimme des Mannes klang scharf und hart wie Stahl. Wieder stammelte der Bauer eine unverständliche Antwort.
Tarō drehte sich herum, und vor seinen Augen flimmerte es vor Schmerz. Er sah, dass Shūsaku genauso verblüfft dreinblickte, wie er selbst es war. Der Ninja hob die Hände, doch seine Geste drückte nicht aus Es tut mir leid , sondern Das war ich nicht. Dann steckte plötzlich ein kleiner Pfeil mit zitternden Federn in Shūsakus Hals. Er begann zu schielen und sank dann bewusstlos an die Wand des Karrens.
Nun erschien Heikō in Tarōs Gesichtsfeld, denn sie beugte sich über ihn. Sie hatte sich die schwarzen Tücher um den Kopf gewickelt, so dass ihr Gesicht bis auf die Augen verborgen war. Sie legte ein Blasrohr beiseite und nahm sich Shūsakus Kurzschwert, hob Tarō leicht an und schleifte ihn zurück an seinen Platz, neben Shūsaku. Ihre Kraft überraschte Tarō. Er sah, dass auch Hirō und Yukiko zu Boden gesunken waren und kleine Pfeile in ihrer Haut steckten. Die beiden rührten sich nicht.
»Was tust du denn?«, zischte er.
»Es tut mir leid«, flüsterte Heikō. »Aber du wärst hinausgegangen. Du wärst hinausgegangen und gestorben, und meine Schwester ebenfalls. Aber du bist Tokugawa no Tarō. Eines Tages wirst du vielleicht den Fürsten Oda töten und deine und meine Eltern rächen. Deshalb habe ich mich auf den Augenblick vorbereitet, in dem ich dich retten würde, diesen Augenblick. Aber auch du hast eine Aufgabe. Du sollst mich so in Erinnerung behalten, wie ich es mir wünsche – meinen ehrenvollen Tod im Kampf dafür, dass der wahre Shōgun eines Tages unsere Feinde stürzen wird. Deshalb habe ich dich nicht betäubt, damit du mein Opfer bezeugen kannst. Berichte meiner Schwester davon.« Sie küsste ihn auf die Wange, und ihre Finger gruben sich in seinen Rücken, als sie ihn umarmte. »Und gib auf Shūsaku acht. Denk an Hōichi und daran, was die Prophetin gesagt hat.«
Dann flog sie förmlich davon.
Binnen eines Augenblicks war sie durch das Loch im Boden verschwunden, das sie eigens zu diesem Zweck hineingesägt hatten. Sie hinterließ aufblitzendes Tageslicht, das ihre Silhouette einen Moment lang einfing, als wollte es sie für immer in Tarōs Erinnerung brennen. Dann schlug die Falltür zu, und im Wagen herrschte wieder trübes Zwielicht.
Tarō reckte sich nach vorn und kämpfte mit dem festen, aber hastig geknüpften Knoten. Er würde ihn rasch lösen, und dann –
Doch seine Finger nestelten ungeschickt daran herum, und der Wagen schien zu schaukeln. Die Bewegung hinterließ verschwommene Schatten vor seinen Augen.
Ein Pfeil. Sie hatte ihn doch betäubt …
Er fiel auf die Knie wie zum Gebet, denn er konnte sich nicht mehr aufrecht halten.
Schwindelig und mit von Blut und Tränen verschleiertem Blick landete er wieder vor dem Spalt, was Heikō sicherlich beabsichtigt hatte, und presste das
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