Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Hirō.
»Viele. Außerdem hat Fürst Oda einen Ninja namens Namae angeheuert, der den Turm bewacht. Ich bin ihm schon einmal begegnet. Der Mann ist ein Geist – er taucht auf und verschwindet wie Nebel. Wo er auch geht, hinterlässt er eine Spur von Leichen. Er ist gefährlich.«
Aus Shūsakus Mund wollte das etwas heißen.
»Können wir an ihm vorbeikommen?«, fragte Yukiko.
»Wir nicht. Aber Tarō.«
Yukiko starrte Shūsaku an. »Er hat noch nicht einmal die Ausbildung beendet!«
Shūsaku lächelte. »Das ist auch nicht nötig. Namae kann den Turm nur bei Nacht bewachen, verstehst du? Er ist zum Schutz gegen Ninja angeheuert worden.«
Yukiko schnappte nach Luft. »Tarō kann sich tagsüber hineinschleichen!«
»Aber was, wenn Oda bei Tage gar nicht dort ist?«, fragte Tarō. »Was, wenn ich hineingelange, und er ist irgendwo unterwegs?«
»Mein Auftraggeber hat mir versichert, dass die Zielperson dort sein wird«, antwortete Shūsaku. »Oda fürchtet sich davor, seine Burg zu verlassen. Er glaubt, der vierte Turm böte den besten Schutz gegen einen Angriff.«
Tarō verspürte eine Art kribbeliger Übelkeit. Er konnte es nicht erwarten, dem Mann gegenüberzustehen, der ihn hatte ermorden lassen wollen und dessen Meuchler Tarōs Vater getötet hatten. Und da war noch etwas – etwas, das er nie in Worte fassen könnte und sich kaum wirklich zu denken traute. Er fürchtete, wenn er es aussprach, könnte er irgendwie die Frau verlieren, die für ihn immer noch seine Mutter war.
Doch der Gedanke war da, wenngleich er sich still wie ein Fuchs durch die dunkle Nacht seines Geistes stahl. Die Fürstin Tokugawa lebt in Daimyō Odas Burg. Was, wenn sie meine richtige Mutter ist, die Frau, die mich geboren hat, und ich ihr dort begegne?
Einen Moment lang erlaubte sich Tarō, vor seinem geistigen Auge ein Bild aufsteigen zu lassen – ein Bild von sich selbst, wie er vor einer Frau stand, die ihm ähnlich sah, die die gleichen feinen Gesichtszüge und grauen Augen hatte. Vielleicht würde er zum ersten Mal wirklich zu jemandem gehören.
Rasch verscheuchte er diesen Traum. Er gehörte doch zu jemandem, wo seine vertraute Mutter auch sei, wo immer sie sich nach dem Angriff auf ihr Dorf versteckt halten mochte. Shūsakus Taube hatte noch immer keine Nachricht von ihr gebracht, aber Tarō hatte die Hoffnung nicht aufgegeben.
Töte den Fürsten Oda , sagte er sich, und dann mach dich auf die Suche nach ihr, ob die Taube bis dahin gekommen ist oder nicht.
So drehten sich seine Gedanken viele Räucherstäbchen lang im Kreis, und er fand keinen Augenblick Ruhe. Als es Tag wurde, verbargen sie sich in einer Jagdhütte in den Bergen. Sobald die Nacht anbrach, stiegen sie von den Hügeln ins Tiefland hinab und wanderten über bewässerte Felder, die kaum Deckung boten, so dass Tarō sich furchtbar schutzlos fühlte. Schließlich erreichten sie die offene Ebene um die Burg von Nagoya, die sie vor einer scheinbaren Ewigkeit in die Gegenrichtung überquert hatten.
Da Tarō nun so viel mehr über den Daimyō Oda wusste, nahmen die leeren Hütten für ihn eine neue, düstere Bedeutung an. Was er zuvor für die Auswirkungen eines Krieges gehalten hatte, kam ihm nun vor wie eine Warnung, die jedem Besucher die völlige Verachtung des Fürsten Oda für die Menschen unter seiner Obhut demonstrierte.
Doch was die leerstehenden Hütten sonst noch bedeuten mochten, sie boten ihnen auch Schutz, und als am Himmel im Osten die ersten bleichen Anzeichen des Morgengrauens erschienen, führte Shūsaku sie weiter durch Felder und kleine Siedlungen. Die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs erhellten schon die Landschaft, als sie auf einen jungen Rehbock stießen. Tarō erlegte ihn mit einem Pfeil, und er und Shūsaku tranken von seinem Blut, ehe sie das tote Tier Hirō gaben, der es mitschleppte, um das Fleisch später für die anderen zu braten. Bald darauf suchten sie sich eine verlassene Hütte, in der sie den Tag verbringen konnten.
Sie ließen sich auf dem harten Boden nieder, und Shūsaku heftete mit Dolchen Hakama aus schwarzer Seide vor die Fenster, um das Licht auszusperren. Tarō blickte sich um und empfand beinahe so etwas wie Zufriedenheit. Hirō bereitete die Feuerstelle in der Ecke vor, um das Fleisch des Rehbocks zu braten. Er blickte von seiner Arbeit auf und lächelte Tarō zu.
Tarō erwiderte das Lächeln. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie eingesperrt und gefangen er sich in dem Unterschlupf im Vulkan gefühlt
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