Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Gesicht ans Holz. Er erinnerte sich daran, wie er durch eine andere hölzerne Wand gespäht, einen anderen Überfall beobachtet hatte. Er dachte daran, wie Shūsaku gegen diese beiden Ninja gekämpft und sie besiegt hatte.
Das hier würde nicht so gut ausgehen.
Heikō ging ganz ruhig auf Kira Kenji zu, ohne dass er oder seine Samurai sie bemerkten. Tarōs Sicht war verschwommen, ob von dem Gift oder den Tränen, wusste er nicht. Er konnte sich nicht mehr bewegen, beobachtete aber die Szene, als spielte sich alles unter Wasser ab.
Die Samurai bemerkten sie sehr spät, denn sie bewegte sich so lautlos wie ein Fuchs. Die Männer mussten ihre Pferde beruhigen, die vor der ganz in Schwarz gehüllten Gestalt zurückscheuten.
Sie war prachtvoll, großartig. In ihrem schwarzen Gewand mit dem Hakama und den Tüchern, die ihr Gesicht verbargen, sah sie aus wie ein Ninja aus einer Geschichte, ganz Anmut und perfekt beherrschte Gewalt.
Sie trat vor Kira Kenji hin, der von seinem Pferd aus auf sie herabschaute und dessen Mienenspiel einen Kampf der Gefühle verriet: Überraschung, Freude darüber, seinem Feind endlich gegenüberzustehen, aber auch – da war Tarō ganz sicher – Furcht.
»Ich bin der, den ihr sucht«, sagte Heikō mit verstellter, tiefer Stimme.
Tarō sog scharf die Luft ein.
Kira Kenji lächelte. »Tarō. Du glaubst vielleicht, ich würde ehrenhaft mit dir kämpfen. Wenn ja, dann unterliegst du einem schweren Irrtum.« Er wandte sich an seine Männer. »Tötet den Jungen. Und dann den Bauern. Seine Lügen sind eine Beleidigung für mich.«
Heikō hob die Hand, als die Samurai vorrückten. »Wartet.«
Sie hielten inne, um zu hören, was sie ihnen zu sagen hatte.
»Bitte lasst den Bauern in Frieden«, sagte sie, während die Hände der Samurai über ihren Schwertknäufen schwebten. »Er weiß nichts.«
Kira lachte. »Er weiß nichts, und er transportiert nichts. Wahrlich, sein Leben scheint aus lauter nichts zu bestehen.« Er machte eine kurze Pause. »Was recht passend ist.«
Dann geschah alles so schnell.
Kira stürmte vorwärts, sein Pferd reagierte augenblicklich auf seinen Befehl und sprang auf den Bauern zu. Der Mann riss die Arme hoch, als könnte er das Schwert aufhalten, das auf seinen Hals herabsauste –
Heikō sprang mit gerecktem Schwert in die Luft und blockierte Kiras Hieb mit einem schrillen Klirren.
Doch schon war einer der Samurai bei ihr und schwang das Schwert in so perfektem Stil, dass Tarō ihn in diesem Moment als unsagbar grotesk empfand.
Die Klinge fuhr in Heikōs Seite und trennte ihr beinahe die obere Körperhälfte ab.
Sie fiel in den Staub.
Tarō schluchzte erstickt.
Kira Kenji zügelte sein Pferd, schwang sich dann aus dem Sattel und landete neben Heikō. Er bückte sich und riss ihr das Tuch vom Gesicht.
»Das ist ein Mädchen !«, rief er aus.
»Rein …gelegt …«, murmelte Heikō.
Kira richtete sich mit wutverzerrtem Gesicht auf. »Findet den Jungen!«, brüllte er.
»Zu spät«, sagte Heikō. »Er ist weg. Habt Zeit verschwendet … um mich zu töten.«
Kira spuckte aus. Sein Gesicht war flammend rot vor Zorn. »Du bist noch nicht tot, Vampir«, sagte er und schlug ihr mit einem einzigen Hieb den Kopf ab.
Kira Kenji drehte sich zu seinen Männern um. »Das Mädchen war nur ein Ablenkungsmanöver. Tarō ist vermutlich längst weit weg. Also los.« Er sprang geschickt in den Sattel. »Aber überprüft zuerst noch schnell den Wagen. Man kann ja nie wissen.«
Kapitel 60
Der Samurai ging auf den Schlitz in der Plane auf der Rückseite des Wagens zu. Seine Gefährten waren bereits wieder aufgesessen und warteten nur darauf, sich erneut auf die Suche nach dem Jungen zu machen, der sie einmal mehr genarrt hatte – diesmal hatte er sogar ein Mädchen dazu gebracht, für ihn zu sterben.
Der Samurai fragte sich, ob es vielleicht doch kein so lächerlicher Gedanke war, dass dieser Tarō eines Tages dem Fürsten Oda gefährlich werden könnte. Offenbar besaß er die natürliche Gabe, andere Menschen – sogar Bauernmädchen – dazu zu bewegen, ihn zu schützen und ihm zu dienen, wie Samurai es tun würden, ja selbst für ihn zu sterben.
Das Segeltuch ließ sich leicht beiseiteschieben. Der Geruch von Reis drang ihm in die Nase. Er ließ den Blick über die hölzernen Karrenwände schweifen. Reis war in weichen Hügeln dazwischen angehäuft, bis zur vorderen Wand. Er hatte gerade einen Fuß auf die Ladefläche gestellt, um hineinzusteigen,
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