Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Yukiko. Ihr Gesicht war so weiß wie der Schnee, nach dem sie benannt war. »Vielleicht war Tarō nur der Meinung, dass Heikō nicht so wichtig war, wie der nächste Shōgun zu werden.«
»Sie hat es um der Ehre willen getan!«, rief Tarō. »Sie hat gesagt, ich müsse leben, um Oda zu töten und Shōgun zu werden! Und ich solle dir sagen, dass sie ehrenvoll im Kampf gestorben ist!«
Erst jetzt wurden Yukikos Züge weicher. Eine Träne folgte der Kurve ihrer Wange. »Vielleicht. Das klingt ganz nach ihr.«
Sie drehte sich wieder zu ihrer Schwester um und berührte den Kopf, der neben dem Körper lag. Dann blickte sie auf, und ein Sturm von Gefühlen tobte auf ihrem Gesicht – Mitgefühl, Wut, Schock.
»Dieser Mann«, sagte sie zu Shūsaku, »der meine Schwester getötet hat. Er arbeitet für den Daimyō Oda?«
Shūsaku nickte.
»Dann werde ich Tarō bei seiner Mission begleiten. Ich bin kein Vampir. Ich kann auch bei Tag nach draußen gehen. Ich werde ihm helfen, Oda zu töten, und wenn ich diesen Mann sehe, der meine Schwester enthauptet hat, werde ich auch ihn töten. Hast du verstanden?«
Shūsaku führte die Handflächen zur Gasshō-Mudrā zusammen, als wollte er die Ernsthaftigkeit seiner Worte unterstreichen. »Ja. Du wirst ihn begleiten.«
Kapitel 62
Auf dem Weg zur Burg des Daimyō Oda blieb Yukiko still und in sich gekehrt. Ihr Gesicht wirkte blutleer und leblos. Den Wagen hatten sie natürlich aufgeben müssen, und nun kamen sie nur noch langsam voran, denn sie mieden die Straße und hielten sich in der schwachen Deckung der Reisfelder und der wenigen Bäume. Yukiko wandelte unter ihnen wie ein blasser Geist.
Auf der Straße, die sie stets im Blick behielten, waren nur noch wenige Reisende unterwegs. Das Land wirkte wie umnachtet, erschöpft, und selbst die Stimmen der Frösche und Vögel klangen schwach. Abgesehen von vereinzelten Bauern, die nach Hause eilten, sahen sie nur eine größere Gruppe von Menschen, ein jämmerliches Häuflein Eta. Die zerrissenen Lumpen, die sie trugen, waren kaum von ihrer wunden Haut zu unterscheiden. Tarō vermutete, dass es sich bei den Bündeln, die sie schleppten, um Lederhäute handelte, die sie an die Samurai in Nagoya verkaufen wollten.
Erst als sie sich der Burg näherten und Tarō die Brücke über den Fluss sah, fiel ihm die Straßensperre wieder ein. Er wies Shūsaku auf den Wachposten hin, und der Ninja verzog das Gesicht.
»Ich hatte gehofft, dass mir bis hierhin etwas einfallen würde«, gestand er.
Hirō beäugte den Ninja argwöhnisch. »Ich spiele nicht noch einmal den Aussätzigen«, sagte er.
Yukiko starrte mit leerem Blick zu den Wachen hinüber. »Wir könnten sie einfach töten«, sagte sie tonlos. Tarō sah sie an, und Schuld und Scham wallten in ihm auf. Heikō war für ihn gestorben, obwohl er sie nicht darum gebeten hatte. Sie glaubte daran, dass er eines Tages Shōgun werden, dass er die Männer zur Strecke bringen würde, die dem Land solche Verheerung gebracht hatten – den Fürsten Oda, Kira Kenji.
Aber was, wenn ihm das nicht gelang? Dann wäre sie umsonst gestorben.
Tarō wandte mit flammenden Wangen den Blick von Yukiko ab. Er hatte die beiden Mädchen einmal zurückgelassen, hatte sich in der Nacht davongeschlichen, damit ihnen nichts geschah. Und was hatte er dadurch erreicht? Nur den Tod ihrer Ziehmutter, und nun auch den Tod ihrer Schwester Heikō, die von allen dummen Ideen auf der Welt ausgerechnet an die geglaubt hatte, sich für ihn zu opfern.
Was ich auch tue , dachte er, immer werde ich den Menschen in meiner Nähe Kummer und Tod bringen. Selbst dann, wenn ich es zu verhindern versuche.
Eine Träne lief ihm über die Wange.
Als er wieder aufblickte, deutete Shūsaku auf die Wachen auf der Brücke.
»Es sind zu viele«, sagte der Ninja. »Sie würden uns töten.«
Yukiko zuckte mit den Schultern, als spielte das keine große Rolle.
Die Wachen zu beiden Seiten der Brücke waren eher noch verstärkt worden, und Tarō sah am Flussufer in regelmäßigen Abständen die Feuer weiterer Samurai-Posten, die verhindern sollten, dass jemand heimlich über den Fluss ruderte oder schwamm. Er fluchte. Sie konnten die Burg des Fürsten Oda schon sehen , deren vier Türme scharf umrissen in den Nachthimmel aufragten, als wollten sie ihn beißen. Nur diese Wachposten versperrten ihnen den Weg.
Doch Hirōs Worte arbeiteten noch in seinem Hinterkopf.
»Diese Sache mit dem Finger«, überlegte er laut. »Das war schlau,
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