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Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
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weil niemand einen Aussätzigen berühren will. Aber auch deshalb, weil niemand auf die unsägliche Idee käme, sich selbst zu entehren, indem er sich als Leprakranker ausgibt . Deshalb haben die Samurai überhaupt nicht damit gerechnet.«
    »Shūsaku hat mich reingelegt!«, sagte Hirō verletzt, weil er als Idiot hingestellt wurde. »Ich wollte das gar nicht.«
    »Ich weiß«, erwiderte Tarō. »Ich will auf etwas anderes hinaus: Diese Tarnung war sehr wirkungsvoll, weil es buchstäblich undenkbar ist, freiwillig als Aussätziger aufzutreten. Wir wissen doch, wie sehr die Samurai sich an ihre Ehre klammern, obwohl ihre Herren das ausnutzen. Sie wären gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass ein Mensch so tun könnte, als hätte er Lepra, weil er damit seine Ehre einfach wegwerfen würde.«
    Shūsaku nickte. »Ja. Du hast recht. Als Kira Kenji diesen Bauern in den Bergen getötet hat, ist dir da nichts aufgefallen? Er hat den Mann gefragt, ob er zwei Jungen und einen Mann gesehen hätte. Und er hat gesagt, einer der Jungen sei ein Aussätziger. Trotz seiner vielen Erfahrung mit Lügen und Verhören hat selbst er sich von seinen Samurai-Vorurteilen beeinflussen lassen. Er ist gar nicht darauf gekommen, dass die Lepra nur vorgetäuscht sein könnte.«
    Yukiko sah sie beide mit dumpfem Blick an. »Und?«
    Tarō holte tief Luft und konnte kaum glauben, dass er das tatsächlich aussprechen würde. Aber er hatte eine Menge über Ehre gelernt, nicht wahr? Er hatte gelernt, dass ein Ideal  – wie etwa Loyalität  – nur eine Vorstellung war. Wie der Einzelne handelte, darauf kam es an. Ein Mensch konnte große Reden über die Loyalität schwingen, ohne in seinen schmeichelhaftesten Tagträumen auch nur annähernd so loyal zu sein wie Hirō.
    Auch Scham oder Schande waren nur Vorstellungen, nur Gedanken. Wenn man eine Demütigung ertragen musste, um etwas Großes zu erreichen, war diese Erniedrigung dann nicht nur ein Schritt auf dem Weg, ein Hindernis, das es zu überwinden galt? Falls der Preis dafür, seinen Vater rächen zu können, darin bestand, dass er sich erniedrigen musste, so sei es.
    »Da hinten«, sagte er und beobachtete ein wenig ängstlich die Augen seiner Gefährten, um ihre Reaktion einzuschätzen, »sind wir an einer Gruppe Eta vorbeigekommen.«

Kapitel 63
    Tarō zog den Strick, der als Gürtel diente, um seinen zerlumpten Kimono zusammen und hob ein Bündel Leder auf. Ganz unten waren sein Kurzschwert, die Ninja-Kleidung und alle möglichen Waffen zwischen den Häuten versteckt. Der Junge, der vor ihm stand, trug nun Tarōs Kleidung, und da sie fast gleich alt und gleich groß waren, hatte Tarō das seltsame Gefühl, in einen Spiegel zu schauen.
    »Danke«, sagte Tarō. »Er passt gut.«
    Shūsaku hatte mit seinen letzten Goldmünzen nicht nur das Leder gekauft, sondern auch alles, was die Eta am Leib trugen. Vier von ihnen, darunter der Junge in Tarōs Alter, waren jetzt in Kleider gehüllt, die zwar immer noch bäuerlich, aber im Vergleich zu den geflickten Lumpen der Übrigen geradezu elegant waren. Yukiko, Hirō und Shūsaku trugen Kimono, die ebenso fleckig und zerschlissen waren wie Tarōs.
    Tarō hatte damit gerechnet, dass Yukiko Einwände gegen seinen Plan erheben würde, aber sie hatte nur stumm genickt, und jetzt stand sie in den groben Lumpen eines Unberührbaren vor ihm, ohne eine Miene zu verziehen. Sie hielt den Blick auf die Straße vor ihnen gerichtet, in Gedanken zweifellos bei ihrer Schwester. Tarō fand ihr unbeirrbares Streben nach Rache beinahe bewundernswert, aber er wünschte, sie würde nicht so regungslos vor sich hin starren, ohne ein Wort zu sagen. Sie kam ihm vor wie eine Statue.
    Der Junge in Tarōs Kleidung verneigte sich leicht. »Dann gehen wir jetzt in die Berge zurück«, sagte er.
    »Und vergesst, dass ihr uns je gesehen habt«, mahnte Shūsaku.
    Einer der älteren Eta grinste und enthüllte dabei ein paar schwarze Zähne. »Für so viel Gold würden wir unsere eigenen Namen vergessen«, sagte er. Er gab dem Jungen, dessen Kleider Tarō jetzt trug, einen Wink. »Komm, Jun’ichirō. Wir gehen.«
    Der Junge lächelte Tarō nervös zu, drehte sich dann um und machte sich auf den Weg. »Auf Wiedersehen«, rief er über die Schulter zurück.
    Sich vor einem Eta zu verneigen war undenkbar, aber das galt auch für die Vorstellung, in dessen Kleider zu schlüpfen. Tarō machte eine kleine Verbeugung und wurde mit einem überraschten Grinsen des Jungen belohnt, der noch

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