Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
konnten. Jeder, der die Wendeltreppe heraufkam, würde durch deren Windung im Uhrzeigersinn behindert sein, weil er die Waffe mit der rechten Hand nicht richtig führen konnte.
Und falls sie auf Kira Kenji stießen, würde Yukiko sein Leben für Heikōs fordern.
Teile dieses Plans funktionierten sogar.
Kapitel 64
Tarō, Yukiko und Hirō waren froh, das schmutzige Gasthaus verlassen zu können, als am Horizont der erste Schimmer des Morgengrauens erschien. Dennoch vermutete Tarō nach einem Blick in die Gesichter seiner Gefährten, dass die beiden ebenso nervös waren wie er.
Tarō trug einen weiten Hakama und harte Schuhe mit spitzen Metallstollen an den Spitzen – perfekt dazu geeignet, an einer steinernen Mauer Halt zu finden. In einem weichen Leinenbeutel auf seinem Rücken steckte ein weiteres Paar harter Schuhe mit einem Stempel unter der Sohle, der Tarōs Fußabdrücke am Ufer – nachdem er wieder über den Graben zurückgeschwommen war – in die Spuren einer Gans verwandeln würde.
Außerdem befanden sich in Tarōs und Yukikos Beuteln ein Wakizashi, ein Dolch, ein Blasrohr und die schwarzen Tücher, die sie anlegen würden, ehe sie die Burgmauer erklommen. Sie dienten nicht nur dazu, ihre Gesichter zu maskieren. Im Dämmerlicht würden sie außerdem dafür sorgen, dass die beiden vor der dunklen Mauer schwerer zu erkennen waren.
Sie näherten sich rasch der Burg und sprachen nur, wenn es nötig war. Yukiko blieb kühl und hinter den Elfenbeinpanzer ihrer Trauer zurückgezogen. Hirō war ungewöhnlich schweigsam und fuhr beim geringsten Geräusch misstrauisch herum.
Schließlich erreichten sie die kreisrunde Straße, die am Rand des Grabens ganz um die Burg herumführte. Mit Stroh gedeckte Häuser drängten sich an den dunklen, kalten Wassergraben, der vielen dieser Haushalte als Wasserreservoir und Latrine zugleich diente – zwei eigentlich unvereinbare Nutzungsarten, die den schlechten Gesundheitszustand vieler Stadtbewohner erklärten.
So früh am Morgen war es kalt, und Tarōs Atem dampfte vor seinem Gesicht, während er auf der Rückseite der Häuser am Burggraben entlangschlich. Ein paar Mal hörte er Geräusche hinter sich, wie von Schritten auf dem matschigen Boden. Auch Hirō und Yukiko drehten sich immer wieder plötzlich um.
»Was war das?«, flüsterte Hirō, als ein Plätschern ihre Aufmerksamkeit erregte.
Sie erstarrten.
Dann erschien eine Ente, die friedlich über den Burggraben schwamm. Tarō stieß den angehaltenen Atem aus. »Gehen wir weiter.«
Doch dieses seltsame Gefühl blieb.
Tarō sah nichts, doch er spürte das Kribbeln im Nacken, wo sich immer wieder die feinen Härchen sträubten, um ihn davor zu warnen, dass ihn jemand beobachtete. Doch wer sollte ihnen folgen? Er zwang Herzschlag und Atmung, sich zu verlangsamen. Er war nervös, ja, aber auch erregt. Endlich war die Zeit gekommen, da er sich am Mörder seines Ziehvaters rächen konnte, an dem Mann, der auch ihn hatte ermorden lassen wollen, einzig und allein aus Machtgier.
Schließlich erreichten sie die Stelle, von der aus Tarō die Zugbrücke sehen konnte, die an die Burgmauer hochgezogen war. Shūsaku hatte ihm erzählt, dass man sie herunterlassen konnte, wenn jemand eines der Pferde direkt vom Stall nach draußen bringen wollte, obwohl das wegen der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen wohl seit einer Weile niemand mehr getan hatte. Auf der anderen Seite des Wassergrabens stand ein Wachposten – von hier aus nur als dunkler Umriss im Dämmerlicht zu erkennen, obwohl der rötliche Schimmer des nahenden Sonnenaufgangs sich schon auf seinem Schwert spiegelte und es leuchten ließ wie einen Talisman gegen böse Geister.
Doch im Augenblick war Tarō der Geist. Und ein Schwert würde ihn nicht aufhalten.
Das war die Stelle, an der sie die Mauer erklimmen würden. Tarō schaute daran hinauf und musste plötzlich aufsteigende Übelkeit zurückdrängen, als sein Selbstvertrauen angesichts dieser Höhe verpuffte. Die Mauer war zu hoch. Sie konnten unmöglich dort hinaufgelangen und sich dann noch an weiteren Wachen vorbei zum Fürsten Oda durchkämpfen, das war einfach –
Doch Hirō legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn an, und als Tarō erneut zu der Mauer aufblickte, schien sie ein wenig geschrumpft zu sein. Er war froh, dass sein Freund bei ihm war. Vielleicht hatte all dies so sein sollen. Vielleicht war es kein reiner Zufall gewesen, dass Tarō am Strand gespielt hatte, als der
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