Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
einmal den Kopf neigte, ehe er den anderen Eta nacheilte. Tarō spürte eine Art seltsames Zupfen, als der Junge davonlief, beinahe so, als wäre er durch irgendeinen unsichtbaren Faden mit ihm verbunden, und er schürzte die Lippen. Der Junge war ein Eta und ein Fremder und sollte ihm daher eigentlich nichts bedeuten.
Dennoch hatte Tarō das unerklärliche Gefühl, dass ihrer beider Schicksal irgendwie miteinander verknüpft war.
Shūsaku rief ihm zu, er solle sich beeilen, und Tarō schüttelte den Kopf. Er hatte sich gewiss nur etwas eingebildet.
Wie Tarō erwartet hatte, funktionierte ihre Tarnung perfekt. Die Samurai empfanden die Eta als derart abscheuliche Beleidigung ihrer vornehmen Ideale, dass sie nie auf den Gedanken gekommen wären, jemand könnte absichtlich als Eta gesehen werden wollen. Die Wachen würdigten die vier Gefährten, die mit ihren Lederbündeln auf dem Rücken die Brücke überquerten, kaum eines flüchtigen Blickes, ehe sie sich wieder daranmachten, in den Reissäcken ausgemergelter Bauern herumzustochern, als könnten sich Attentäter darin eingerollt haben.
Shūsaku hatte sich das Gesicht mit dunklem Schlick vom Flussufer beschmiert, um seine Tätowierungen zu verbergen. Und obwohl die Eta, deren Sachen sie jetzt trugen, saubere Gesichter gehabt hatten, passte der Schmutz in Shūsakus Gesicht so gut zur Erwartung der Samurai, wie ein Eta aussehen sollte , dass er keinerlei Aufmerksamkeit hervorrief.
Tarō lernte wieder etwas Neues über die Ninja. Er hatte sie für unvergleichliche Männer der Tat gehalten, die ihre Ziele durch Geschicklichkeit und anmutige Schnelligkeit erreichten und in ihren typischen schwarzen Gewändern durch die Lande streiften. Jetzt wurde ihm klar, dass ein Ninja oft damit am meisten erreichte, dass er nicht wie einer aussah.
Und dass nicht alle Männer waren.
Ja. Bei Nacht ganz offen über eine schwer bewachte Brücke zu spazieren, auf dem Rücken locker in Bündeln versteckt ihre Waffen, die sie augenblicklich verraten hätten, falls jemand sie durchsucht hätte – das bedeutete es, ein Ninja zu sein.
Tarō hämmerte das Herz in der Brust, als sie die Brücke hinter sich ließen und die Straße betraten, die zwischen die Häuser von Nagoya hineinführte. Er wusste, dass sein Herz nicht nur aus Angst vor Entdeckung so raste, sondern auch vor Aufregung. Er sah das Blitzen in Hirōs Augen und wusste, dass sein Freund ganz ähnlich gemischte Gefühle empfand.
In dieser Nacht folgten sie den Wegbeschreibungen des Abschaums in der Stadt – als Eta verkleidet war es unmöglich, mit irgendeiner Standesperson zu sprechen – zu einem schmuddeligen Gasthaus im ärmsten Viertel von Nagoya. Dort planten sie ihren Einsatz. Am nächsten Morgen sollte Shūsaku zurückbleiben, weil die Sonne ihn töten würde, falls er sich hinauswagte. Tarō und Yukiko würden im Morgengrauen losschlagen, wenn ihnen die Dämmerung noch einen gewissen Schutz bot, das Licht aber schon so hell war, dass andere Ninja nichts mehr tun konnten.
Sie würden zur hinteren Burgmauer gehen, über die man laut der Skizze, die Shūsaku in den Staub auf dem Boden ihres schmutzigen Zimmers zeichnete, in einen Burghof gelangte, und über diesen Hof zu dem Turm, in dem ihre Zielperson sein sollte.
Aber das würde nicht leicht werden.
Eine rasche Erkundung hatte ergeben, dass überall um die Burg herum Wachen postiert waren, und zwar so, dass sie jeden sehen konnten, der sich den Mauern näherte. Dahinter wartete ein zweites Hindernis in Form eines Burggrabens, der sich unmittelbar vor den Burgmauern erstreckte.
Da kam Hirō ins Spiel. Er und Tarō würden durch ein Ablenkungsmanöver eine der Wachen von ihrem Posten fortlocken – hoffentlich auf Dauer, aber zumindest so lange, dass Tarō und Yukiko durch den Burggraben schwimmen, die Mauer hochklettern und sich auf der anderen Seite in den Burghof hinablassen konnten. Den brauchten sie nur zu überqueren, um zum vierten Turm zu gelangen.
Shūsaku vermutete, dass Oda einen Ninja-Angriff am allermeisten fürchtete. Daher würde er sich zu seinem Schutz in erster Linie auf Namae verlassen. Der Turm selbst würde bei Tag gewiss nicht schwer bewacht sein – jedenfalls gingen sie davon aus. Tarō und Yukiko würden die Mauer hinaufklettern bis zu dem Raum ganz oben. Dort würde Tarō den Fürsten Oda töten und sich dann mit Yukikos Hilfe wieder hinunter zum Burghof durchkämpfen, wobei sie den Vorteil der höheren Position nutzen
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