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Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
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Hai Hirō und seine Eltern angegriffen hatte. Vielleicht war all das hier vorherbestimmt, schon von Beginn an, wie die Äbtissin behauptet hatte. Und jetzt fügte sich alles zusammen, so wie die ersten zaghaften Töne, die man auf einer Biwa anschlug, sich allmählich zu Akkorden, Melodien und einem prächtigen Musikstück formten.
    Ich hoffe nur, dass ich das Ding tatsächlich hochklettern kann , dachte Tarō. Die Mauer erschien ihm nun doch wieder beängstigend hoch. Unten war sie glitschig vom Wasser des Grabens, und er sah nirgends so etwas Hilfreiches wie leicht hervorstehende Steine, an denen man sich emporziehen könnte.
    Doch nun näherten sie sich dem Wachposten, der in voller Samurai-Rüstung vor dem Graben stand, und ihm blieb keine Zeit mehr für solche Gedanken. Hirō ließ sich zurückfallen und verbarg sich unter dem überhängenden Dach eines Ladens. Als der Wachposten den Kopf wandte, sah er also bloß Tarō und Yukiko  – nur ein junges Paar, das einen Morgenspaziergang machte. Yukiko hatte sich das Haar so hochgesteckt, wie eine wohlhabende Geisha es tragen würde, und Shūsaku hatte einen bestickten Mantel für Tarō aufgetrieben, in dem er wie ein verkommener junger Lebemann aussah.
    Wie erwartet nahm der Wächter sie kaum zur Kenntnis. Lasterhafte Müßiggänger wie sie gediehen in jeder Stadt, die ein unmoralischer Fürst regierte, und sie waren völlig bedeutungslos.
    Doch dann erregte eine schnelle Bewegung hinter dem Pärchen die Aufmerksamkeit des Wächters, und er riss den Kopf herum, als Hirō auf Tarō losstürmte. Er zog Tarō einen Knüppel über den Schädel, schnappte sich den Beutel und lief weiter, auf eine der schmalen Seitengassen zu. »Dieb!«, kreischte Yukiko.
    »He! Stehen bleiben!«, brüllte der Samurai und verließ seinen Posten, um Hirō zu verfolgen, der gerade in der Gasse verschwand. Tarō blieb in einer hoffentlich benommen wirkenden Haltung auf dem Boden sitzen und rieb sich den Kopf.
    Sobald der Wachposten die Gasse betrat, war ein dumpfer Schlag zu hören. Gleich darauf trat Hirō hervor, bekleidet mit Helm, Rüstung und Schwert. Ein wenig großspurig stolzierte er zu der Stelle zurück, wo der Samurai gestanden hatte, nahm eine gelangweilte, aber arrogante Haltung ein und ahmte perfekt die Bewegungen nach, mit denen der Wächter den verächtlichen Blick am Burggraben auf und ab hatte schweifen lassen.
    »Schnell«, sagte er. »Ich habe den Mann so gut wie möglich versteckt, aber irgendjemand wird ihn sicher finden. Außerdem ist er nur betäubt. Shūsakus Gift wirkt nicht lange.«
    Der Burggraben war breit und durch schlitzförmige Fenster in der Burgmauer gut zu überwachen. Tarō und Yukiko duckten sich ins Schilf am Ufer. Tarō holte etwas aus seinem Beutel  – das Blasrohr. Er ließ sich in den kalten Schlick gleiten und kroch auf dem Bauch voran, bis er plötzlich ins tiefe Wasser des Grabens rutschte. Gleich darauf erschien Yukiko neben ihm im Wasser, so glatt und geschmeidig wie ein Otter.
    Sie tauchten unter und atmeten durch ihre dünnen Blasrohre.
    Wasserpest-Ranken streiften Tarōs Knöchel und zupften an seinen Armen. Die Wasserpflanzen waren schleimig und kalt, und Tarō stellte sich vor, das Wasser sei voll namenloser, grausiger Geschöpfe. Er schwamm schnell, weil ihn das dunkle, kalte Wasser ängstigte. Bald traf seine rechte Hand auf das andere Ufer, und er stemmte sich aus dem Wasser. Rasch drückte er sich flach an die Burgmauer, um nicht von Wachen durch die Schießscharten gesehen zu werden. Yukiko zog sich ebenfalls ans Ufer und stellte sich keuchend neben ihn. Sie waren zwei Schatten an einer Burgmauer und im Begriff, in die Festung des Fürsten Oda einzudringen.
    Tarō hatte sich noch nie so schutzlos, so leicht verletzlich gefühlt.
    Er drehte sich mit dem Gesicht zur Mauer und holte besondere Handschuhe aus seinem Beutel. Die Ninja auf dem Berg hatten sie mit scharfen Spitzen aus Metall versehen, die in die Fingerspitzen eingenäht waren und ihm festeren Halt an der Mauer geben würden. Er reichte Yukiko ebenfalls ein Paar und wollte dann in den ersten Handschuh schlüpfen. Doch seine kalten Hände waren wie Farnwedel zusammengekrümmt, und er musste erst kräftig auf die Finger atmen, bis sie beweglich genug waren, um sie in die Handschuhe zu schieben. Dann streckte er den Arm nach oben und hielt sich an einem leicht vorstehenden Stein fest.
    Die Mauer war neben der Zugbrücke gar nicht so hoch, nur etwa zwei Manneslängen,

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