Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Handelsgut, eine gefügige Braut, die er demjenigen Adligen anbieten konnte, den er gerade am dringendsten als Verbündeten brauchte. Er wollte irgendeinen seiner Vasallen oder Feinde an sich binden, indem er ihn mit seiner wunderschönen Tochter verheiratete.
Es kam selten genug vor, dass Hana aus der Burg entkommen und mit dem Schwert üben konnte, und seit sie ihrem Vater die Nachricht von der toten Taube überbracht hatte, praktisch gar nicht mehr. Sie hatte ihren Vater nur ein paar Mal gesehen, und er hatte gedankenverloren, zornig, ja sogar besorgt gewirkt. Das hätte sie nicht für möglich gehalten bei einem Schwertheiligen und großen Daimyō, dessen Augen und Wille aus demselben Stahl zu bestehen schienen wie seine Schwerter. Doch er fürchtete sich. Und in letzter Zeit erlaubte er ihr nicht mehr, die Burg zu verlassen, ganz gleich unter welchem Vorwand. Kame war seit Tagen in Hanas Gemächern eingeschlossen und nahm die Zumutung, etwas fressen zu müssen, das sie nicht selbst getötet hatte und in dessen Adern kein Blut mehr floss, immer ungnädiger hin.
Hana blickte aus dem Fenster und betrachtete das längliche Stück Himmel über dem Haupttor der Burg. Ein paar dünne Wolkenfetzen trieben vor dem hellen Blau vorüber.
Der Kalligrafie-Sensei versetzte Hana einen Klaps auf die Fingerknöchel. »Ihr seid ja meilenweit entfernt! Konzentriert Euch, Mädchen! Ihr seid noch schlimmer als der Tokugawa-Knabe.«
Der Tokugawa-Knabe, der an dem Tischchen neben Hanas saß, blickte von den schief gekrakelten Spiralen auf, die er mit einem nassen Pinsel auf sein Papier zeichnete. »Ich hasse dich!«, sagte er. »Kalligrafie ist dumm !«
Der Sohn des Daimyō Tokugawa war ein rotgesichtiger Junge von etwa vier Jahren – natürlich viel zu jung, um Kalligrafie zu lernen, und Hana sah nicht ein, warum er hier bei ihr sitzen musste. Sie hegte den Verdacht, dass man ihr dadurch irgendeine charakterliche Lektion erteilen wollte, die eines Tages nützlich sein würde, wenn sie ihren eigenen Samurai-Haushalt führte. Geduld vielleicht. Oder die Selbstbeherrschung, einen unausstehlichen vierjährigen Jungen nicht mit dem Schwert zu durchbohren.
Der kleine Tokugawa liebte Matsch, Froschlaich und warf gern mit Steinen, und er hasste es, drinnen sitzen zu müssen. In diesem Punkt stimmte Hana völlig mit ihm überein – aber nur in diesem einen. Er war ein arrogantes, verzogenes Balg, und sie bemühte sich, so wenig Kontakt wie möglich mit ihm zu haben. Manchmal fürchtete sie, ihr Vater könnte versuchen, sie mit ihm zu verheiraten. Mit einem vierjährigen Jungen! Doch dem Daimyō Oda würde sie das zutrauen.
Die Lehrstunde schleppte sich so langsam dahin wie ein dreibeiniger Hund. Hana widmete sich mehreren neuen Schriftzeichen und empfand – wenn auch widerwillig – eine gewisse Freude dabei, den Pinsel über das weiße Papier zu führen.
Plötzlich war hinter ihr ein Hüsteln zu hören, und Hana fuhr erschrocken herum, so dass ihr Pinsel einen wilden, dicken Strich zog. Kira Kenji hatte den Raum betreten, und seine Tabi schlurften leicht über den polierten Dielenboden, weil er das Gewicht stets auf das unverletzte Bein legte und das verkrüppelte hinterherzog.
Nicht, dass es da viel Gewicht zu verlagern gäbe – der Mann schien jedes Mal, wenn Hana ihn sah, noch dünner geworden zu sein, als nährte sich ein hungriger Geist aus der untersten Tiefe des Samsara von seinem Fleisch. Sie hatte noch nie gesehen, dass er irgendetwas anderes aß als Reis, und er trank nur Wasser. Sie fragte sich, wie er sich überhaupt am Leben erhielt. Seine Augen waren tief eingesunken und von Blutergüssen umgeben, und durch seine fast durchscheinende Haut konnte man die Knochen sehen.
Er beugte sich über Hanas Tisch und verneigte sich ehrerbietig. Hana hätte die Respektsbezeugungen des Mannes dankbarer entgegengenommen, wenn er sie nicht mit so furchtbar übelriechendem Atem vorgebracht hätte. Jedes Wort aus seinem Mund roch nach Fäulnis und drang ebenso abstoßend an ihre Nase wie unaufrichtig an ihr Ohr.
Um genau zu sein, traute sie nichts, was Kira sagte.
Er war für die Sicherheit ihres Vaters verantwortlich – Meister der Spione, so nannte ihn Hanas vorlaute Dienerin Sono – und hatte die Oberaufsicht über eine ganze Reihe weiterer Tätigkeitsfelder. Flüchtige verfolgen, Gefangene verhören, Aufstände niederschlagen – all das hatte er schon getan. Es gab jedoch eine Rebellion, gegen die er
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