Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
nach vorn, und das schimmernde Heft eines Dolches ragte aus seinem Rücken.
»Was war das?«, fragte Tarō entsetzt.
»Hast du es nicht gesehen?«, entgegnete Hirō. »Shūsaku hat sich von hinten an ihn herangeschlichen, ihm den Dolch gestohlen und ihn damit erstochen. Aber ich verstehe nicht, warum er sein Schwert hat fallen lassen. Und warum er seine Kleidung nicht mehr tragen will.«
Vor der Hütte stritten die Ninja miteinander, fuchtelten mit ihren Schwertern ins Leere und zogen sich rückwärts zu einer dicht gedrängten Gruppe zusammen, die Schwerter nach außen gewandt wie die Stacheln eines tödlichen Igels.
Plötzlich erschlaffte einer der Männer und fiel zu Boden, um nie wieder aufzustehen.
Wieder gerieten die Ninja in Panik, rempelten einander an und riefen durcheinander.
»Bei allen Göttern, was …?«, stieß Tarō hervor.
»Da war er wieder«, sagte Hirō. »Dem da hat er mit einem Stein den Schädel eingeschlagen. Stimmt etwas mit deinen Augen nicht?«
»Ich kann ihn nicht sehen«, entgegnete Tarō erstaunt. »Wo ist er?«
»Er geht um sie herum. Er ist nackt . Aber da ist irgendetwas auf seinem Körper … Tätowierungen, glaube ich.«
Tarō suchte die Szene vor sich ab. Er konnte nichts sehen außer verängstigten Ninja.
Einer der Männer löste sich von der Gruppe, und plötzlich schoss seine Schwerthand hoch. Die Klinge sprang ihm aus der Hand, fiel aber nicht zu Boden – sie blieb in der Luft hängen und richtete sich gegen ihn. Dann sauste sie wie von einem eigenen Willen beseelt herab und weidete den Mann mit einem brutalen Hieb aus.
Tarō schnappte nach Luft. Was geschah da?
So fließend, als setze es seine vorherige Bewegung fort, wirbelte das Schwert durch die Luft und schlug einem anderen Mann den Arm an der Schulter ab. Dann fiel das Schwert auf den Boden. Die Männer wichen davor zurück, als stecke es voller finsterer Magie.
Einer der Ninja ergriff die Flucht, doch er war noch nicht weit gekommen, als einem seiner Kameraden der Speer aus den Fingern sprang. Der Speer hüpfte auf Hüfthöhe waagrecht über den Sand und durchbohrte den Flüchtenden. Der Ninja rannte noch ein paar Schritte weiter und fiel dann mit dem Gesicht voran in den Sand.
Das war zu viel für seine Kameraden. Panisch ließen sie ihre Waffen fallen und rannten in alle Richtungen davon.
Die meisten von ihnen entkamen.
Der Speer erhob sich auf magische Weise aus dem Rücken des Mannes, den er getötet hatte, flog dann wie von starker Hand geschleudert durch die Luft und traf einen der fliehenden Männer in den Nacken.
Gleich darauf waren die Toten die einzigen Gestalten, die noch zu sehen waren. Tarō war übel. Er verstand nicht, wie diese Männer gestorben waren, doch eines war ihm klar: Das war ein Massaker an Leuten gewesen, die sich nicht mehr hatten verteidigen können.
»Das ist doch nicht möglich …«, sagte Tarō. » Wer hat diesen Speer geworfen?«
»Wovon sprichst du eigentlich?«, erwiderte Hirō. »Das war Shūsaku. Er hat alle diese Ninja getötet. Aber es war so, als … als könnten sie ihn nicht sehen.«
Tarō wandte sich seinem Freund zu. »Hirō«, sagte er, »ich kann ihn auch nicht sehen.«
Kapitel 10
Oda no Hana verfluchte ihren Kalligrafie-Lehrer.
Nicht laut natürlich. Das wäre nicht damenhaft gewesen.
Sonnenlicht schien durch das offene Fenster herein, begleitet von einer sanften Brise. Der Tag war warm, deshalb saßen sie in einem der oberen Räume der Burg, wo die Fenster nicht mit Shōji-Papier bedeckt waren. Das war das einzige Zugeständnis des Kalligrafie-Meisters an Hanas Vorliebe für die freie Natur. Die Fenster dieses Zimmers hoch oben waren schmal, damit ein Bogenschütze von hier aus schießen konnte, ohne selbst getroffen zu werden. Ein Lichtschaft beleuchtete Hanas niedriges Tischchen.
Sie wusste, dass der Meister es gut meinte, doch das war die reinste Folter! Das Sonnenlicht, nicht einmal durch Shōji-Papier gefiltert, verstärkte nur ihre Sehnsucht nach dem, was sie nicht haben konnte.
Prinzessin Hana wäre zu gern hinausgegangen, um ihre Geschicklichkeit mit dem Schwert zu üben. Sie trainierte mit einem Bokutō, doch schon jetzt hatten ihre Fähigkeiten ihr einen gewissen Ruf eingetragen, und es wurde geflüstert – manchmal sogar in ihrer Gegenwart –, dass sie eines Tages eine Schwertheilige sein würde wie ihr Vater – ein Kensei.
Aber Daimyō Oda wollte keine Schwertheilige zur Tochter. Er wollte eine Gabe, ein kostbares
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