Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
überlebt – würde sie dich so sehen wollen? Du bist ein Dämon. Ein Kyūketsuki. Sie ist eine einfache Frau, eine Ama. Sie wird dich zurückweisen. Womöglich streift dein Vater jetzt schon durch das Reich der hungrigen Geister, und seine Seele findet keine Ruhe, weil sein Sohn ein Affront gegen den Buddha ist.
Und ganz hinten in seinem Geist versteckte sich wie ein Rüsselkäfer im Reis der schlimmste aller Gedanken, den er kaum zur Kenntnis nehmen wollte. Was, wenn es allein meine Schuld ist, dass Vater tot ist und Mutter fliehen musste? Wenn es mich nicht gäbe, wären diese Ninja nie in unser Dorf gekommen.
Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf und weinte um sie, und er floss nicht ins Meer, sondern blieb gepeinigt im schimmernden Mondlicht sitzen. Denn letzten Endes kennt unser Körper nur eines: weiter überleben.
Darin liegt unsere Kraft und unsere Tragödie.
Seufzend wischte Tarō sich die Tränen von den Wangen. Es war an der Zeit, zu Hirō und Shūsaku zurückzukehren. Zeit, aufzubrechen. Vielleicht war das alles, was er brauchte – sich bewegen, etwas tun . Er stand auf und ging zurück über den Strand.
Als er die Hand an die Tür der Hütte legte, spürte er, ohne es recht zu hören, ein Swip in der Luft, und dann ragte ein Pfeilschaft aus seiner Schulter. Er schnappte nach Luft, wirbelte herum, und ein zweiter Pfeil traf den Oberarm auf seiner anderen Seite. Unter den Bäumen um die Hütte herum bewegten sich Schatten.
Tarō warf sich gegen die Tür, stieß sie auf und stürzte in die Hütte. Die Stellen, wo die Pfeilspitzen in seinem Fleisch steckten, brannten jetzt, und als er durch die Tür taumelte, blieb einer der Schäfte am Türrahmen hängen, brach ab und riss die Wunde noch weiter auf. Er schrie.
Shūsaku war bereits aufgesprungen und hielt sein Kurzschwert in der Hand. »Ninja?«, fragte er. Hirō sprang zu Tarō und fing ihn auf, ehe er fallen konnte. Sacht ließ er Tarō zu Boden sinken.
»Ich … ich glaube schon«, stammelte Tarō. »Dunkle Schatten. Unter den Bäumen.«
Shūsaku überlegte kurz. »Sie ahnen nicht, dass ich dich verwandelt habe. Jeder Ninja weiß, dass man mit ein, zwei Pfeilen keinen Vampir töten kann. Vermutlich wissen sie also nicht, dass ich bei dir bin.«
»Aber … sie haben uns gesehen, am Strand.«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, das sind andere. Vermutlich sind Ninja in jedem Dorf um Shirahama postiert und warten darauf, dass du auftauchst. Daran hätte ich denken sollen. Aber eine solche Operation, nur für einen Jungen … das ist ungewöhnlich.«
»Ungewöhnlich?«, fuhr Hirō zornig auf. »Mehr hast du dazu nicht zu sagen? Wir werden sterben! Tarō ist schwer verletzt.«
Der Ninja schüttelte den Kopf. »Diese Pfeile holen wir gleich heraus. Sie werden ihn nicht umbringen. Und vorerst haben wir einen kleinen Vorteil.«
»Nämlich?«
»Sie wissen nicht, dass ich hier bin.«
Damit schlüpfte Shūsaku zur Tür hinaus. Tarō lag direkt hinter der Tür auf dem Boden, und indem er Kopf und Schultern drehte, konnte er zusehen, wie Shūsaku in die Nacht hinausglitt. Pfeile flogen, doch er duckte sich, schlug Haken und wich ihnen aus.
Aus den Bäumen, boshaft schimmernde Schwerter in Händen, kamen die Ninja.
Was dann geschah, war so unerwartet, dass es Tarō wie ein Traum erschien. Shūsaku wickelte blitzschnell die schwarzen Stoffbahnen ab, die sein Gesicht verbargen. Während er weiterhin anmutig den Pfeilen auswich, die auf ihn abgeschossen wurden, trat er aus seinem Hakama und dem Obergewand.
Tarō starrte mit offenem Mund nach draußen.
Wo gerade noch ein Ninja – Shūsaku – in dunkler Kleidung und mit einem Wakizashi in der Hand gestanden hatte, glänzte jetzt nur noch das Schwert im Licht der Sterne.
Shūsaku war verschwunden.
Dennoch hüpfte und tanzte sein Schwert durch die Luft und attackierte die Gruppe der feindlichen Ninja, als hätte ein Zauberer ihm Leben und Bewegung eingegeben.
Die Ninja, die von den Bäumen her vorrückten, starrten das fliegende Schwert an, und Tarō hörte ihr nervöses Raunen.
Dann fiel das Schwert zu Boden und blieb still liegen.
Die Angreifer gerieten in Bewegung. Einer von ihnen deutete auf das Schwert, ein anderer rief etwas. Tarō glaubte, das Wort Akuryō herauszuhören – »böser Geist«.
Die Ninja wichen einen Schritt zurück.
In diesem Moment ging einer von ihnen, der ein Stück hinter den anderen dicht bei den Bäumen stand, plötzlich in die Knie. Er kippte
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