Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
eher dem Menschenschlag im Dorf.
Tarō wusste, dass Hirō ihm überallhin folgen würde. Das Problem war nur, dass Tarō tief im Herzen überall sein wollte, nur nicht in Shirahama.
»Hast du gehört, was der andere Rōnin über den Kyūketsuki gesagt hat?«, fragte Tarō schließlich, um das unbehagliche Schweigen zu brechen.
Hirō sah ihn verständnislos an. »Ein blutsaugender Geist?«
»Der Rōnin hat erzählt, dass ein Kyūketsuki nicht weit von hier einen Bauern getötet hat.«
»Das ist wahrscheinlich nur ein albernes Gerücht«, entgegnete Hirō. »Kyūketsuki gibt es doch gar nicht. Außerdem erzählen Reisende immer gern sonderbare Geschichten.« Er setzte sich Richtung Dorf in Bewegung. » Vorhin, ehe diese Rōnin aufgetaucht sind, ist ein Händler durchgekommen. Deine Mutter war hier – sie hat ein paar Perlen gegen einen Sack Reis getauscht. Er hat uns eine Geschichte über eine Familie erzählt, die von Ninja getötet wurde, ein Stück die Küste hinunter. Ein Fischer, seine Frau und ihr halbwüchsiger Sohn. Die Leichen seien mit Wurfsternen gespickt gewesen, haben die Dorfbewohner ihm erzählt.«
Tarō beeilte sich, seinen Freund einzuholen. » Ninja ?«, fragte er ungläubig.
Die geheimnisvolle Gruppe schwarz gekleideter Meuchler sollte es im Gegensatz zu den Kyūketsuki wirklich geben. Man hatte sie schon für mehrere Mordanschläge verantwortlich gemacht, und es hieß, dass Daimyō Tokugawa – der stärkste Verbündete des Fürsten Oda – sie oft für heimliche Missionen benutzte. Doch die Vorstellung, dass diese gut ausgebildeten, tödlichen Spione sich die Mühe machen könnten, eine Fischerfamilie auszulöschen, war absurd.
»Das haben sie behauptet«, bekräftigte Hirō. »Ich sage dir doch, dass Reisende sich immer lächerliche Geschichten ausdenken. Wir leben hier so abgelegen – da haben Gerüchte eine Menge Platz, zu wachsen und sich zu wandeln, ehe sie an unsere Ohren dringen.«
Tarō brummte zustimmend. Doch irgendetwas am Zusammentreffen dieser Erzählungen kam ihm seltsam vor – die Vorstellung, dass an einem einzigen Tag sowohl von bösen Geistern als auch von Ninja in der Nähe ihres stillen kleinen Dorfes gesprochen wurde. »Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Ich habe bei alledem ein ungutes Gefühl.«
»Wie die Mutter, so der Sohn«, bemerkte Hirō.
»Wie meinst du das?«
»Als der Händler diese Geschichte erzählt hat, ist deine Mutter ganz blass geworden und ins Dorf zurückgelaufen. Sie hätte den Reis vergessen, wenn ich ihr nicht nachgerannt wäre.«
Tarō runzelte die Stirn. Es sah seiner Mutter gar nicht ähnlich etwas zu vergessen, schon gar nicht, wenn es um Lebensmittel ging. Sie überwachte das Ein und Aus von Gütern in ihrem Haus sehr sorgfältig und achtete stets darauf, dass sie nie einen zu hohen Preis für irgendetwas bezahlte.
»Weißt du, was ich glaube?«, fuhr Hirō fort. »Die Rōnin wollen Unruhe stiften. Man streut ein paar Gerüchte über Bauern, die von legendären Ungeheuern ermordet wurden, und bald fühlt sich niemand mehr sicher. Sie wollen Daimyō Oda damit Schwierigkeiten bereiten.«
»Da hast du wahrscheinlich recht«, sagte Tarō. »Viele von ihnen haben seinen Feinden gedient.« Es war bekannt, dass die Rōnin den Daimyō Oda verabscheuten und ihm die Schuld für den Verlust ihrer Ehre gaben, weil Odas Krieger die Truppen des Daimyō Imagawa vernichtend geschlagen hatten. Dieser Krieg hatte alle betroffen – sogar Tarō und Hirō. Hirōs Eltern waren auf der Flucht vor den Gewalttaten der Samurai von Imagawa Yoshimoto hierher nach Shirahama gekommen. Wie so viele andere Bauern aus dem Landesinneren waren auch sie an die Küste vertrieben worden und hatten neu anfangen müssen, und wer nicht schnell das Fischen lernte, kam um.
Hirōs Eltern hatten nicht schnell genug gelernt, und deshalb waren sie tot.
Tarō fühlte sich schon ein wenig besser. Natürlich war es die Absicht der Rōnin, das Land des Fürsten Oda zu destabilisieren. Er war der stärkste Daimyō, der die Region Kantō je beherrscht hatte, und starke Samurai schufen sich stets erbitterte Feinde. Sein Heldenmut, sein außergewöhnliches Geschick mit dem Schwert und sein taktisches Genie hatten ihn für seine Untertanen zu einem Gott gemacht, und zu einem Dämon für jene, die er besiegt hatte. Als man ihm in Anerkennung seiner meisterlichen Kampfkunst mit dem Katana den Titel Kensei verliehen hatte, so hieß es, sei kaum ein Tag vergangen, an
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