Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
fuhr durch die leere Stelle, wo einen Herzschlag zuvor noch der Bauer gestanden hatte. Dieser Herzschlag sollte der letzte des Rōnin gewesen sein: Als er durch den fehlgegangenen Hieb das Gleichgewicht verlor und nach vorn stolperte, riss der Bauer ihn vom Boden aus mit einem schwungvollen Tritt von den Füßen. Dann sprang er mit einem Salto wieder auf die Beine und ließ die Faust mit einem sehr endgültig klingenden Knirschen auf den Nacken des Rōnin herabsausen.
Der Bauer kam herüber und streckte Hana die Hand hin. » Vielleicht sollten wir Euch lieber zu Eurer Unterkunft zurückbegleiten, verehrte Dame«, sagte er. »Anscheinend treiben sich hier Banditen herum.«
Kapitel 26
»Ihr habt eine Belohnung verdient«, sagte die junge Dame. »Mein Vater ist … ein sehr mächtiger Mann, und er würde euch reich machen zum Dank für meine Rettung.« Sie schluckte und wirkte nervös. »Aber ich hätte heute Abend gar nicht hinausgehen dürfen. Wenn er davon erführe, würde er …«
»Wir haben vollstes Verständnis«, sagte Shūsaku und verneigte sich. »Dann werden wir Euch hier verlassen.« Sie hatten sie zum Rand des Dorfes begleitet, für den Fall, dass noch mehr Rōnin in der Nähe sein sollten, und nun standen sie zwischen der Dunkelheit des Waldes und dem Obon-Lampenschein der ersten Hütte.
»Bitte«, sagte die junge Dame. »Nehmt meinen Ring. Das ist nicht viel, aber –«
Shūsaku hob beide Hände. »Er ist viel zu klein für meine Finger. Und Geld brauchen wir nicht.«
Die junge Adlige wandte sich Tarō zu, und er spürte sein Herz in der Brust hämmern, als sich ein Lächeln über ihr makelloses Gesicht breitete. Sie betrachtete seinen Bogen. »Dein Geschick mit dieser Waffe hat mir das Leben gerettet.«
Tarōs Wangen wurden heiß. »Das war doch nichts.«
»Unsinn. Ich habe selbst schon Bogenschießen geübt. Man braucht ein sehr sicheres Auge, damit solche Schüsse gelingen. Und das ist ein sehr schönes Stück. Darf ich ihn mir ansehen?«
Tarō reichte ihr den Bogen, und sie hob ihn selbstsicher an und spannte die Sehne überraschend weit. Mit einem summenden Twang ließ sie sie los. »Eine so gute Arbeit würde ich gar nicht erwarten bei … Leuten wie euch.«
Tarō senkte den Blick. Es machte ihn verlegen, als Bauer vor einer Prinzessin zu stehen, und einer so schönen obendrein. »Der Bogen ist mein kostbarster Besitz«, sagte er. »Mein Vater hat ihn gemacht.«
Sie sah Shūsaku an.
»Nein«, sagte Tarō. »Er ist nicht mein Vater.«
»Aha. Und dein Vater ist …?«
»Fort.«
»Ah.« Mitgefühl strahlte aus ihrem Gesicht. »Aber du liebst deinen Vater.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
Tarō nickte.
»Dann kannst du dich glücklich schätzen.« Sie gab ihm den Bogen zurück. »Ich frage mich, warum er den Griff so dick gemacht hat«, setzte sie nachdenklich hinzu.
»Wie bitte?«
Sie berührte den Griff und streifte dabei Tarōs Hand, so dass ein warmes Kribbeln seinen Arm emporstieg. »Dieser Teil hier. Der ist für gewöhnlich nicht so dick. Siehst du?« Sie strich über das Holz, und Tarō betrachtete die Stelle, wo der breite Griff in die schlankeren, geschwungenen Wurfarme überging. Der Griff ragte förmlich aus dem Bogen hervor, der doch aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt war. Das war ihm zuvor noch nie aufgefallen. Es war beinahe, als …
Shūsaku räusperte sich. »Verzeiht, wenn ich euch unterbreche, aber wir sollten jetzt wirklich gehen.«
Tarō fing seinen Blick auf und errötete erneut, denn er sah die Belustigung auf dem Gesicht des Ninja – ein wortloser Kommentar zu seiner offensichtlichen Vernarrtheit in die junge Dame.
»Also dann«, sagte sie, »lasse ich euch lieber gehen. Noch einmal vielen Dank dafür, dass ihr mich gerettet habt.« Sie wandte sich ab, zögerte aber und drehte sich wieder zu Tarō um. »Dein … Beschützer möchte meine Belohnung nicht annehmen. Aber du vielleicht?« Sie hielt ihm den Ring hin. »Betrachte ihn als Geschenk. Als Zeichen meiner Dankbarkeit und Achtung.«
Tarō warf Shūsaku einen Blick zu, doch der schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch«, sagte Tarō, »aber Ihr seid zu großzügig.«
»Bitte!«, flehte sie, und ihre Stirn legte sich in bekümmerte Falten. »Mein Vater wird einen fehlenden Ring nicht bemerken. Aber ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich dir deine Hilfe nicht wenigstens mit dieser Kleinigkeit vergelte.« Sie drückte Tarō den Ring in die Hand. Tarō sah Shūsaku erneut
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