Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
abverlangte.
Der Mann hätte Hana beinahe leidtun können, wenn der bloße Gedanke an ihn sie nicht mit Abscheu erfüllt hätte.
An diesem Abend trug Prinzessin Hana eine erlesene Jadekette, die ihre makellosen Schlüsselbeine betonte, so leicht und fein geschwungen wie Vogelflügel, und ihre dunklen Augen noch tiefer wirken ließ. Ihre porzellanhelle Haut schimmerte im Mondlicht und wirkte noch kostbarer als der Goldschmuck an ihren Ohren, und kein Beobachter hätte dem Gerücht widersprochen, sie sei die schönste Frau in ganz Japan.
Genau auf diese Art Frau hatten es die skrupellosen Rōnin abgesehen, die damals an verlassenen Landstraßen lauerten – menschliches Treibgut des Wracks, das der Sieg ihres Vaters über Imagawas Armee hinterlassen hatte.
Ein leichter Wind strich durch den Garten und trug den Duft von Jasmin heran. Hana betrieb geradezu ein Studium der Winde. Für sie war Wind ein Objekt unerschöpflichen Interesses.
Da war der Herbstwind am Morgen, wenn sie im Bett lag, die Schiebetüren weit geöffnet, so dass der Wind duftend und scharf von draußen hereinwehte. Dann der kalte Winterwind, schwer von Schnee. Die feuchten, sanften Abendbrisen im Frühling. Und, ebenso bewegend, die kühlen, regennassen Winde des Spätsommers, bei denen Hana sich damit amüsierte, zuzuschauen, wie zimperliche Leute ihre steifen Gewänder aus ungefütterter Seide mit dicken Sommermänteln schützten. Hana selbst ging am liebsten hinaus und tanzte im Regen, sofern es der strenge Stundenplan erlaubte, den ihr Vater für sie vorgesehen hatte.
Und natürlich war da der Wind unter den Schwingen von Kame, ihrem Sperberweibchen, der sie zu ihrer Beute trug, so sicher, wie Pflanzen sich nach der Sonne streckten.
Aber eine Art Wind war wunderbarer als alle anderen, und das war der Wind, der ein Versprechen heranwehte – ein Versprechen auf Abenteuer und Freiheit. Dies war der Wind, der in dieser Nacht im Garten wehte.
Also ging Hana zum hintersten Teil des Gartens, der den Hafen Gojo darstellen sollte, wenn man der Lage des Felsengartens, des Baches und der Bonsaibäume Glauben schenkte. Hana kam sich vor wie eine Riesin, als sie darüber hinwegtrat. Samurai bewachten das Tor in der Mauer, das hier nach draußen führte, aber Hana kannte sich mit mehr als nur Wind und Blumen aus.
Sie flog förmlich auf die Wand zu und sprang hoch, so geschmeidig wie eine Katze. Ihre Finger bekamen die Mauerkrone zu fassen, und sie nutzte den Impuls ihres Sprungs, um die Beine seitlich ganz hinaufzuschwingen. Oben hielt sie einen Moment lang geduckt inne und beobachtete die Männer am Tor, die mit blanken Katana dastanden, bereit, jeden Möchtegern-Attentäter aufzuhalten.
Narren.
Sie schlich auf der Mauer entlang und sprang dann in die Gasse hinab. Ihre Füße in den Stoffschuhen trafen lautlos auf den Boden. Dann verschmolz sie mit dem Schatten der Mauer und stahl sich aus dem kleinen Dorf davon.
Sie folgte einem der reizvollen Feldwege, die man hier so häufig sah, und überquerte auf einer Brücke einen Bewässerungskanal. Der Mond hing jetzt tief über den Bergen im Süden und beschien die in Terrassen angeordneten Reisfelder. Ein paar kleine Gebäude umgaben das Anwesen, das für Hana und ihr Gefolge requiriert worden war. Rote Laternen über den Türen warfen rosiges Licht auf den Boden.
Gleich außerhalb des Dorfes begann ein Wäldchen, und dorthin wandte sich Hana. Sie wollte den Wind durch Blätter rauschen und Laub unter ihren Füßen rascheln hören.
Sie hatte erst einen zarten Fuß in den Wald gesetzt, als sie von groben Händen gepackt wurde. Sie drehte sich um und starrte in ein großes, rotes Gesicht mit zwei langen, spitzen Hörnern darüber. Sie schrie. Doch dann erkannte sie, dass das Gesicht zu einem großen, in Rüstung gehüllten Körper gehörte und die Hörner nur einen Helm zierten.
Sie schrie dennoch weiter.
Der Mann schlug ihr hart ins Gesicht, und nun verstummte sie und blickte sich mit großen Augen erschrocken um. Hier unter den Bäumen standen drei Männer, alle in Samurai-Rüstung und mit Schwertern bewaffnet. Der Mann, der sie gepackt hatte, hielt ihr ein Schwert an die Kehle. Doch kein Samurai würde jemals eine Frau angreifen – es sei denn eine weibliche Samurai, und auch dann nur wegen eines schweren Vergehens. Es blieb nur eine Möglichkeit: Rōnin.
Hana zitterte. Sie hatte schreckliche Dinge über die Rōnin gehört. Für Geld waren sie zu allem bereit. Schlimmer noch, sie waren
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