Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
beenden und uns beitreten sollte. Und welche Folgen es erst hätte, wenn wir ihn verwandelten! Die Auswirkungen wären katastrophal! Der Sohn eines Daimyō – eines Tages womöglich des Shōgun – in einen Vampir verwandelt! Wir könnten von Glück sagen, wenn wir damit keinen offenen Krieg auslösen und auch nur ein einziger Ninja das überlebt.«
Shūsaku bewegte blitzschnell die Hand. Sie war nur verschwommen wahrzunehmen, so rasch schoss sie vor und hing dann wieder locker an seiner Seite herab, als wäre sie nie irgendwo anders gewesen. Kawabata kreischte und umfing seine erhobene Hand. »Rührt mich nie wieder an«, sagte Shūsaku. »Und außerdem«, fügte er beiläufig hinzu, »habe ich ihn bereits verwandelt.«
Kawabata fiel die Kinnlade herunter, und er entblößte schwarze Zähne, von denen die Hälfte fehlte. Er hielt noch immer seine verletzte Hand umklammert. Er öffnete und schloss ein paar Mal den Mund, bis er es schaffte, ein Wort zu hauchen. »Was?«
»Ihr habt mich verstanden. Der Junge ist bereits einer von uns. Sein Freund ist noch menschlich, für den Augenblick, doch er wird sich uns anschließen, wenn er sich bewiesen hat, und ich denke, das wird ihm gelingen.«
»Seid Ihr v-verrückt ?«, stammelte Kawabata. »Wenn Tokugawa davon erfährt …«
»Das wird er nicht.«
Kawabatas Augen quollen beinahe aus ihren Höhlen, was ihm das Aussehen einer fetten, wütenden Kröte verlieh. Er wollte gerade etwas sagen, als ein großer, alter Mann sich dicht zu ihm herabbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Tarō glaubte die Worte »verhandeln« und »Vorteil« zu verstehen.
Ein wenig Farbe kehrte in Kawabatas Wangen zurück.
»Tja nun«, sagte er. »Vielleicht können wir den jungen … Tarō bei uns aufnehmen. Aber es ist wirklich bedauerlich, dass wir nun auch Euch verstecken müssen, Fürst Endō. Euch alle .« Tarō musste an streitende Kinder denken und fragte sich, ob Shūsaku und Kawabata zusammen aufgewachsen waren. Eine solche Feindschaft zwischen Erwachsenen wäre verständlich, wenn sie einander schon in jungen Jahren gehasst hätten.
Aber das war natürlich nicht möglich. Shūsaku war einmal ein adliger Samurai gewesen, und Kawabata hatte gesagt, er stamme von Ninja ab. Sie hätten ebenso gut aus verschiedenen Welten stammen können.
Kawabata trat einen Schritt zurück. » Wie wollt Ihr die große Initiation vollziehen?«, fragte er. »Immerhin schreiben die Regeln eindeutig vor –«
»Ich weiß, was die Regeln gebieten. Meine Ninja-Gefährten und ich werden eine Lösung finden.« Etwa ein Dutzend Männer und Frauen in den schwarzen Gewändern der Ninja traten vor. Tarō sah, dass sie alle Kapuzen und Masken vor dem Gesicht trugen. Sie verneigten sich vor Shūsaku.
»Nun«, sagte Kawabata, »wenn alle Ninja sich einig sind …« Er zögerte, als hoffte er, dass einer der Gefährten widersprechen würde, doch sie nickten nur. Er hob die Hände. »Schön. In diesem Fall …«
Tarō spürte Hoffnung in sich aufflackern.
»… werden wir das Können des Jungen auf die Probe stellen. Ihr behauptet, er sei begabt, Fürst Endō. Lasst es ihn beweisen. Dann werden wir ihn mit offenen Armen willkommen heißen.«
Shūsaku machte ein finsteres Gesicht, und Tarō bekam ein flaues Gefühl im Magen, als fiele er aus großer Höhe herab. Kawabatas Forderung war offenbar angemessen – das zustimmende Gemurmel der Menge bestätigte das. » Also gut«, knurrte Shūsaku mit zusammengebissenen Zähnen. »Und die Disziplin?«
Kawabata musterte Tarō abschätzend. Tarō wusste, dass der Mann ihm eine Aufgabe stellen wollte, die schwierig für ihn sein würde, vielleicht sogar unmöglich.
»Der Bogen«, sagte der dicke Ninja.
Tarō lächelte innerlich. Von einem Bauernjungen, selbst dann, wenn er der verborgene Sohn eines Fürsten war, erwartete niemand, dass er den Bogen beherrschte. Bogen waren teure Waffen, und außer den Samurai hatten nur wenige Leute Zugang dazu.
Shūsaku nickte nur, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Kawabata schnalzte mit den Fingern, und einer der Lagerbewohner brachte einen langen, eleganten Bogen und einen Köcher voller Pfeile herbei.
Shūsaku wandte sich Tarō zu. » Was meinst du?«, flüsterte er.
»Das wird schon gut gehen«, flüsterte Tarō zurück. Mit einem Nicken wies er auf die steilen Klippen. »Die Felswände begrenzen die Entfernung, die er von mir verlangen kann. Selbst von einer Wand zur anderen … Na ja, das wäre ein
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