Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
gefährlich.«
»Nun, ja, aber –«
Shūsaku trat einen Schritt vor, und seine Miene wirkte plötzlich streng. »Ihr seid hier nur der Anführer des Lagers, gewählt von der Gemeinschaft. Eure Aufgaben sind die Fürsorge für die Gemeinde und der Anbau unserer Feldfrüchte – weiter nichts. Ich bin das Oberhaupt dieses Klans. Ob Euch das gefällt oder nicht, bleibt Euch selbst überlassen, aber Ihr habt keinerlei Autorität über mich. Ich wurde in die höhere Position gewählt.«
Kawabata bleckte die Zähne zu einem sehr hässlichen Lächeln. » Wie Ihr meint, Fürst Endō.«
Tarō verfolgte diesen Wortwechsel so aufmerksam, dass ihm zunächst gar nicht auffiel, wie viele Leute inzwischen in dem ebenen Rund erschienen waren. Sie waren jetzt von einer Menge lächelnder, drängelnder Menschen aller Altersstufen umringt. Hier stand eine Frau mit einem Säugling auf der Hüfte. Dort starrte ein junger Mann, der einen Speer mit Doppelspitze in der Hand hielt, Tarō, Hirō und die Mädchen mit ernster Miene an.
Tarō fühlte sich plötzlich sehr schutzlos. All diese Aufmerksamkeit behagte ihm nicht. Tagelang hatte es nur ihn, Hirō und Shūsaku gegeben. » Wer sind all diese Leute?«, fragte er Shūsaku. »Sind sie alle Vampire?«
Shūsaku lächelte. »Nein. Vampire werden nicht geboren, nur gemacht. Dies sind die Frauen der Ninja, ihre Kinder, ihre Eltern. Nicht jeder kann immerzu im Einsatz sein. Es muss auch jemand hierbleiben, der sich um die Felder, die Schweine und die Waffen kümmert.«
Tarō betrachtete die gaffenden Leute. Er spürte den Drang, höflich zu sein.
Er deutete auf sich selbst. »Ich heiße Tarō.«
Daraufhin lief ein Raunen durch die Menge, und ein paar scharfe Blicke wurden gewechselt.
»Und dies ist Hirō, mein bester Freund. Danke, dass … dass ihr uns bei euch willkommen heißt.«
Da trat Kawabata vor. » Wer hat behauptet, ihr wärt hier willkommen?«, warf er ein. Er wandte sich an die versammelte Menge. »Hat irgendjemand gesagt, er sei willkommen?«
Die Frau mit dem Kleinkind auf der Hüfte blickte zu Boden. Der Mann mit dem Speer starrte weiterhin Tarō an. Shūsaku trat einen Schritt vor. »Kawabata- san «, sagte er und betonte die letzte Silbe erneut so, dass sie ironisch und unhöflich klang. »Ich habe Tarō gesagt, dass er und sein Freund hier bei uns ausgebildet werden, genau wie Heikō und Yukiko, die schon für den Klan bestimmt sind, seit ich sie als kleine Kinder gerettet habe. Ich habe Tarō gesagt, dass er in meinem Klan willkommen sein würde.« Auch das Wort »meinem« trug eine leichte Betonung. »Möchtet Ihr mir widersprechen?«
Kawabata trat vor Tarō und maß ihn mit einem kalten, abschätzenden Blick, wie ein Bauer ein Schwein oder ein Samurai ein Pferd. »Da Ihr ihm das gesagt habt«, erwiderte er, an Shūsaku gewandt, »kann ich wohl kaum etwas dagegen unternehmen. Immerhin seid Ihr das Oberhaupt und ein Mann, der einst ein Samurai war.« Er legte die gleiche Betonung auf »Samurai« wie Shūsaku auf das »-san« an seinem Namen. » Wer bin ich schon? Nur der Sohn eines Ninja, der wiederum der Sohn eines Ninja war. Aber ich nehme an, Ihr habt nicht darüber nachgedacht, in welche Gefahr uns das bringen könnte, Fürst Endō?«
Shūsaku – Fürst Endō – schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich habe ich daran gedacht. Aber der Junge hat Talent. Der Nutzen wiegt die Gefahr bei Weitem auf.«
Kawabata watschelte auf Shūsaku zu. Sein Bauch wackelte beim Gehen hin und her und erinnerte Tarō an den einer schwangeren Frau. Auch seine Beine wirkten weibisch – dünn und zart. In Verbindung mit seinem dünnen Bart, dem halb kahlen Kopf und den blutunterlaufenen Augen hinter tief hängenden Lidern war die Wirkung geradezu grotesk – als hätte jemand den Kopf eines betrunkenen Kaufmanns auf den Körper einer jungen Frau gesetzt, die bald ein Kind gebären würde.
Er stieß Shūsaku mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Ich bin immer noch ein Ninja«, flüsterte er, doch so laut, dass Tarō ihn hören konnte. »Auch, wenn ich seit Jahren keinen Einsatz mehr mitgemacht habe. Ich glaube, es wäre besser, Ihr bringt den Jungen ganz hinauf auf den Berg und werdet ihn los. Seinen Freund ebenfalls. Niemand würde sie je finden. Schlitzt ihnen die Kehlen auf und werft ihre Leichen in eine tiefe Schlucht.« Wieder tippte er Shūsaku mit dem Zeigefinger gegen den Oberkörper. »Stellt Euch vor, was geschehen würde, wenn er seine Ausbildung
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