Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
der Stelle, dass er sie mochte. Sie hatte eine Anmut und einen Sinn für Humor, wie er sie schon früher gesehen hatte, bei einigen der Ama, die mit seiner Mutter getaucht hatten. Diese Anmut und diesen Humor verband er mit Menschen, die beschlossen hatten, sich von den Tücken eines gefährlichen Lebens nicht das innere Gleichgewicht rauben zu lassen.
Sie hatte den Ausdruck eines Menschen mit großer innerer Kraft.
Ja, er wusste, dass er recht hatte, denn die Lachfältchen um ihre Augen waren ein Echo anderer, tieferer Falten. Die Anzeichen häufiger Sorge hatten sich in ihre Stirn gegraben.
Sie wandte sich an Yukiko und Heikō. »Die Mädchen kenne ich natürlich.« Sie verneigte sich vor ihnen. Dann wandte sie sich mit diesem halb lächelnden, halb stirnrunzelnden Blick wieder Shūsaku zu. »Ihr habt also befunden, dass sie ihre Ausbildung jetzt bei uns vollenden sollten?«
»Nicht ganz. Die Äbtissin hat sie fortgeschickt.«
Die Frau mit dem grauen Haar und dem faltigen Gesicht, das der gelenkigen Anmut ihrer Bewegungen widersprach, nickte knapp. »Sie haben sie verärgert?«
»Nein. Sie glaubte, dass jemand kommen würde, um sie zu ermorden. Sie wollte die Mädchen in Sicherheit wissen.«
Die Frau blickte bekümmert drein. »Was für Schwierigkeiten bringt Ihr uns diesmal ins Haus?«, fragte sie Shūsaku. »Ihr wisst doch, was mein Ehemann …« Sie unterbrach sich und schaute ängstlich drein, aber auch beschämt. »Ich meine … Ihr kennt unsere prekäre Situation.«
»Ich bringe gar nichts.«
»Und doch«, sagte die Frau und wandte sich Tarō zu, »habt Ihr ihn mitgebracht.« Sie schloss kurz die Augen. » Was habt Ihr Euch dabei gedacht?«
»Es ging nicht anders. Ich war in einer verzweifelten Lage. Ansonsten hätte ich ihn dem Tod überlassen müssen.«
»Ich verstehe. Nun ja, ich bin sicher, dass Eure Handlungsweise von den Umständen diktiert wurde.«
»Unsere Handlungen werden immer von den Umständen bestimmt«, erwiderte Shūsaku mit einem Lächeln auf den Lippen.
»In der Tat«, sagte eine neue Stimme. Ein dicker Mann kam mit watschelndem Gang aus dem Tunnel und blieb neben der Frau stehen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, und sie zuckte zusammen und lächelte ihn dann schwach an. Diese Kombination verriet Tarō, dass er ihr Ehemann war und sie sich vor ihm fürchtete.
»Zum Beispiel«, fuhr der Mann in schmeichelndem, aber arrogantem Tonfall fort, »fürchtete die Äbtissin zweifellos jemanden, der eigentlich auf der Suche nach Euch war, Shūsaku, was bedeutet, dass sie Euretwegen gestorben ist. Ihr wart der Umstand , der ihre Handlung, zu sterben, diktiert hat.«
Shūsakus Hand huschte zum Heft seines Schwertes, doch dann beherrschte er sich. » Wir wissen nicht, ob sie tot ist, Kawabata- san .« Der Frau gegenüber hatte Shūsaku ihren Namen voller Achtung ausgesprochen, doch nun legte er auf den Höflichkeitstitel -san eine Betonung, die Tarō sarkastisch vorkam, beinahe so, als wollte Shūsaku durch diese übermäßige Betonung andeuten, dass der Titel hinter dem Namen des dicken Mannes nichts zu suchen hatte.
» Fürst Endō«, entgegnete der Mann ebenso verächtlich.
»Nicht doch, lieber Ehemann«, sagte die Frau nervös. »Wir sollten uns anhören, was Shūsaku zu sagen hat.«
»Oh ja«, erwiderte der Mann. »Ich höre Shūsaku immer zu. Selbst dann, wenn er Lügen erzählt.« Er betrachtete Heikō und Yukiko mit schmalen Schweinsäuglein. »Wie im Fall dieser Mädchen. Ihr behauptet, die Äbtissin hätte sie fortgeschickt ? Wir wissen doch beide, dass sie sich nie im Leben von diesen Mädchen getrennt hätte.«
»Genug jetzt«, sagte Heikō und trat vor. »Shūsaku hat die Äbtissin nicht getötet. Das war Daimyō Oda.«
»Unsinn«, widersprach Kawabata. »Sie ist seine Wahrsagerin. Er würde ihr nie etwas antun.«
»Er würde alles tun, was ihn zu Tarō führen könnte«, sagte Shūsaku, »und zu einer Möglichkeit, den Fürsten Tokugawa zu vernichten.«
»Ihr bleibt also bei Eurer Behauptung, Fürst Oda hege Mordpläne gegen Tokugawa?«, fragte Kawabata im Tonfall skeptischer Belustigung.
»Allerdings«, antwortete Shūsaku.
Nun musterte Kawabata Tarō. »Und er ist ganz sicher der –«
»Ja. Er ist Fürst Tokugawas Sohn.«
»Er weiß es?«
»Ja«, antwortete Tarō.
»Soll ich mich etwa darüber freuen, dass Ihr ihn hierhergebracht habt? Das könnte gefährlich für uns sein.«
»Wir sind Ninja«, entgegnete Shūsaku. »Für uns ist alles
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