Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
durch die Luft, beschrieb einen silbrigen Bogen unter dem gemalten Sternenhimmel, eine Flugbahn, deren Kurve und Symmetrie so perfekt war, dass einen Moment lang jedem in diesem Krater der Atem stockte.
Dann traf der Pfeil auf, und die Frau fiel rücklings gegen den Fels und rutschte zu Boden.
Kapitel 37
Prinzessin Hana packte die Zügel ihres Pferdes mit der einen Hand und schwang mit der anderen das Schwert. Die Attrappe – eine Strohpuppe in Samurai-Uniform – kippte mit einem diagonalen Schlitz auf dem Brustpanzer nach hinten. Hana grinste und zügelte das Pferd. Sie wirbelte das Schwert in der Hand herum und genoss sein Gewicht und das Blitzen der Nachmittagssonne auf dem Metall.
»Sehr gut, Prinzessin Hana«, sagte Hayao. Er gehörte zu den Samurai, die tagsüber zu ihrer Bewachung eingeteilt waren. Sie mussten innerhalb der Burgmauern bleiben. Das hatte Daimyō Oda unmissverständlich klargemacht. Doch Hayao hatte Verständnis für Hanas Drang, hinauszukommen und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Er hatte ihr sein eigenes Schwert geliehen und ihr geholfen, die Strohpuppe zu basteln. Dann hatte er sie im Stallhof aufgebaut, der im hinteren Teil der Burg lag. Der Hof war gerade so lang, dass Hana ein Pferd zum schwungvollen Galopp bringen konnte, ehe sie wieder umkehren musste.
Die anderen Samurai – insgesamt sechs waren für Hanas Schutz abgestellt worden, doppelt so viel wie ihre übliche Wache – standen stumm am Rand des Stallhofs oder wachten auf den Mauern darüber. Sie sprachen nie mit Hana oder zeigten auch nur das geringste Interesse an ihren Übungen. Sie kämpfte oft gegen Hayao oder übte sich im Schwertkampf zu Pferde, doch den anderen Wachen schienen diese Kampfspiele völlig gleichgültig zu sein. Das war ungewöhnlich. Hana war es gewohnt, sich davonschleichen zu müssen, um mit dem Schwert üben zu können, und das in der wenigen Zeit zwischen ihren damenhafteren Unterrichtsstunden.
Doch solchen Unterricht hatte es schon eine ganze Weile nicht mehr gegeben. Auch den vierjährigen Tokugawa-Jungen sah sie kaum noch.
Anscheinend hatte Hayao sogar den Befehl erhalten, Hana bei ihren Kampfübungen zu helfen. Allerdings hatte sie dank des Unterrichts in Etikette und aus eigener schmerzlicher Erfahrung gelernt, ihren Vater nie direkt nach seinen Absichten zu fragen. Fürst Oda hatte jedenfalls in letzter Zeit wenig Interesse an ihren Lehrstunden in Kalligrafie oder Dichtkunst gezeigt. Dafür schien seine frühere Missbilligung ihrer undamenhaften Vergnügungen und kriegerischen Neigungen – sowie die Furcht, sie könnte irgendwie ihr gutes Aussehen ruinieren oder sich verletzen – einer beinahe nonchalanten Nachsicht gewichen zu sein. Neulich war er an Hana vorbeigegangen, als sie gerade Messer auf eine Zielscheibe geworfen hatte, und er hatte nicht mit der Wimper gezuckt. Zugleich wirkte er nervös und geistesabwesend, und Hana konnte sich leicht zusammenreimen, dass ihn offenbar eine neue Bedrohung schwer belastete. Eine Bedrohung, die möglicherweise auch sie betraf? Eine so große Gefahr, dass der Daimyō seine eigene Tochter darin unterwiesen haben wollte, wie sie sich selbst schützen konnte?
Ja, Hana hatte den Eindruck, ihr Vater wünsche nun, dass sie das Kämpfen übte, und habe deshalb Hayao als eine ihrer Wachen eingeteilt. Das jagte ihr einen leisen Schauer über den Rücken, obgleich sie sich über die neue Freiheit freute. War sie in Gefahr? Ihr Vater hatte es nie gern gesehen, dass sie sich überhaupt im Schwertkampf übte, obwohl er das Bokken toleriert hatte. Jetzt lernte sie den Umgang mit einem richtigen Schwert, mit messerscharfer, harter Klinge. Und Hayao ermunterte sie, ihre Fähigkeiten mit jedem neuen Tag ein wenig zu erweitern – das Schwert vom Pferd aus zu führen, im waffenlosen Kampf gegen ihn anzutreten, das Bogenschießen zu lernen.
» Wendet das Pferd«, sagte Hayao. »Bei dieser Übung werde ich stumpfe Pfeile auf Euch abschießen. Versucht ihnen auszuweichen, während Ihr die Attrappe niederstecht.«
Später am selben Tag ging Hana einen der vielen Flure in der Burg entlang zu einem kleinen Innenhof, in dem Rosen blühten. Hayao hatte ihr einige Schlag- und Trittkombinationen gezeigt, die sie allein üben wollte – irgendwo, wo sie nicht die gelangweilten Blicke der Samurai spürte, wenn sie das Gleichgewicht verlor und hinfiel.
Sie ging an einem Zimmer der Diener vorüber, als die Stimme ihres Vaters sie innehalten ließ.
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