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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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höchstpersönlich verordnet. Es gab sogar extra passende Schnurrbartbinder. Die hängten sich die Männer mit den kaiserlichen Schnurrbärten jeden Morgen für eine halbe Stunde um den lächerlichen Bart. Dadurch sahen sie noch alberner aus und konnten eine halbe Stunde lang nicht reden. Die Kinder und Frauen der Schnurrbartträger waren ziemlich froh darüber. Endlich Ruhe vor den Männern, schienen sie zu denken. Wenn auch nur für eine halbe Stunde.
    * * *
    Während Paul ständig malte, um sich darauf vorzubereiten, an der Akademie der Künste Malerei zu studieren, wie ich herausfand, war Sophie in den ersten Wochen nicht ansprechbar. Sie zog sich in sich selbst zurück, verließ nicht einmal mehr das Haus und redete mit niemandem, auch nicht mit Paul. Wenn Paul etwas sagte, zuckte sie nur gleichgültig mit den Schultern. Auch wenn Freunde von August zu Besuch kamen. Es warenFreunde, die sich zu einer Künstlergruppe mit Namen »Der blaue Reiter« zusammengeschlossen hatten, als August noch gelebt hatte. Sie waren ungefähr so alt wie August und kaum älter als Paul. Auch sie waren Maler, Künstler oder Schriftsteller. Allesamt junge Menschen, die versuchten, mit Worten oder Farben das unbeschreibliche auszudrücken. Aber ganz anders, als man es bis dahin gewohnt war. Ihnen kam es nicht so sehr auf die Genauigkeit der Pinselführung an als vielmehr darauf, dass der Pinsel mit Strichen und Farben das ausdrückte, was sie im Augenblick empfanden. Und das war offenbar eine ganze Menge.
    Sie saßen bei Sophie und Paul in der Küche, diskutierten und erzählten, bis die Köpfe glühten. Sie sprachen meistens von sich, ihrer Malerei, ihrer Kunst und fast immer auch von August. Sophie hörte unbeteiligt zu und zuckte mit den Achseln. Auch Paul hörte zu, bis es ihn nervte.
    »Immer nur August«, sagte er, als er wieder in seinem Atelier mit mir alleine war. »August, August, August! Als würde das Leben nur aus Verstorbenen bestehen. August ist tot. Er kann uns nicht mehr helfen. Das können nur wir selbst.« Er schaute mich nachdenklich an. »Aber wie?« Er schüttelte den Kopf. »Das weißt du auch nicht, was?«
    Ehrlich gestanden, nein. Ich wusste, was Paul meinte. Aber wie er das anstellen konnte, wusste auch ich nicht.
    »Mir fällt schon was ein, verlass dich darauf.«
    Paul nahm wieder den Pinsel und malte mich zuerst so hässlich und verzerrt, dass ich gar nicht hinschauen wollte. Das schien Paul aber nicht mehr zu genügen, denn er griff nach seinem breitesten Pinsel, tauchte ihn in sonnenblumengelbe Farbe und strich mich von oben bis unten an.
    Jetzt ist er völlig übergeschnappt , dachte ich, während Paul immer wieder mit feierlicher Stimme »Der gelbe Nussknacker« und »Das ist es!« sagte.
    Er tänzelte dabei um mich herum und schien so munter wie selten zuvor.
    »Der gelbe Nussknacker! Klingt gut.«
    Er balancierte mich auf einem Stück Pappe – ich war noch nicht ganz trocken – in die Küche, stellte mich auf den Tisch und sagte zu Sophie: »Der gelbe Nussknacker!« Als Sophie nicht reagierte, fügte er hinzu: »Die neue zukunftweisende Künstlergruppe.«
    Sophie blickte kurz auf, tippte sich an die Stirn, sagte kaum verständlich »Gaga!« und versank wieder in sich selbst.
    »Dada!«, rief Paul begeistert. »Genau!«
    Er küsste Sophie auf die Stirn und balancierte mich wieder zurück in sein Atelier. Wer die »neue zukunftweisende Künstlergruppe« sein sollte, der ich den Namen lieh, schien nicht nur Sophie ein Rätsel zu sein, auch ich hatte keinen blassen Schimmer. Wahrscheinlich wusste es nur Paul selbst.
    * * *
    »Diese Trottel!«, schimpfte Paul. »Fachidioten!«
    Er hielt einen Brief in der Hand und fuchtelte damit wütend in der Luft herum. Sophie saß wieder in der Küche und starrte Löcher in die Luft.
    »Hör dir das an!«, schimpfte er. »Leider ist für Sie kein Studienplatz an der Akademie frei. Das Gremium hat sich für andere Bewerber entschieden.«
    Sophie zuckte nur mit den Schultern, wie so oft.
    Paul zerknüllte den Brief. »Was ist?«, sagte er, zuerst leise,dann mit rotem Kopf und immer lauter. »Ist das alles, was dir dazu einfällt?« Er warf den zerknüllten Brief an die Wand. »Ist dir alles völlig egal?«
    Sophie zuckte wieder mit den Schultern.
    »Zählt nur noch August? Mensch, Sophie, August ist seit einem Jahr tot. Er kommt nicht wieder. Auch dann nicht, wenn du dein Leben lang hier in dieser Küche sitzt und Löcher in die Luft starrst. Dieses verdammte

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