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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Fenster. Andere holten sich auf ungesetzliche Weise, was sie sich nicht mehr leisten konnten. Diebstähle und Einbrüche nahmen rapide zu. Ebenso das Misstrauen und die Angst.
    Am Ende des Jahres gab es Geldscheine, die Billionen wert waren, eine Zahl mit zwölf Nullen.
    Auch Sophie und Nora ging es ziemlich schlecht. Sie überlegten krampfhaft, was sie verscherbeln konnten, um wenigstens die notwendigsten Lebensmittel kaufen zu können. Sie tauschten Schmuckstücke gegen Gemüse ein. Nora gab kostbare Puppen, die noch ein paar Jahre zuvor ein Vermögen wert gewesen waren, gegen ein Pfund Karotten her.
    * * *
    Immer am ersten Tag des Monats brachen Sophie, Nora und Liesel in aller Herrgottsfrühe mit dem Taxi zum Großmarkt auf. Wenn sie ein, zwei Stunden später zurückkamen, hatten sie ein paar hundert Millionen Mark ausgegeben und damit den Großeinkauf für den ganzen Monat getätigt.
    Was allerdings nur das Allernotwendigste war. Sie schleppten mehrere Säcke Kartoffeln an, Zucker, Salz, Butter, Käse, Konservenbüchsen und Suppenwürfel. Das reichte dann meistens knapp bis zum Monatsende, wenn sie sich sehr einschränkten.
    Als der Geldverfall immer noch schlimmer wurde, als Schmuckstücke und auch Möbel schon eingetauscht waren, musste Sophie schließlich Kunstwerke verkaufen, um weiterhin den Lebensunterhalt zu sichern. Vor allem die modernen Stücke, die sie über Jahre hinweg gesammelt hatte, gab sie her. Darunter waren auch Zeichnungen von August.
    »Bilder kann man nicht essen«, sagte sie zu Nora. »Aber du hast doch Hunger, oder?«
    Nora nickte.
    Sophie rief Dr. Kahlenberg an, einen ehemaligen Arbeitskollegen von Erich. Er war ein windiger Bursche, der immerzu grinste und die unterschiedlichsten Geschäfte machte. Erkaufte und verkaufte alles, was zu kaufen und verkaufen war. Auch Kunstwerke.
    Dr. Kahlenberg kam und strahlte wieder übers ganze Gesicht. Er nahm Sophies Hand, küsste ihren Handrücken und schien sie gar nicht mehr loslassen zu wollen. Er hausierte mit anzüglichen Komplimenten, dass ich rot angelaufen wäre, wäre ich nicht am ganzen Körper in tiefes Sonnenblumengelb getaucht gewesen.
    Nora tippte sich hinter Kahlenbergs Rücken an die Stirn. Auch Sophie schien von so viel Übereifer unangenehm berührt zu sein.
    »Ich bitte Sie, Herr Dr. Kahlenberg!«, sagte sie schließlich ein wenig pikiert.
    »Verzeihen Sie, Gnädigste, aber Schönheit muss gewürdigt werden«, entgegnete der schmierige Doktor. Er beendete die Schmeichelei mit den Worten: »Auch in diesen schweren Zeiten! Aber bald wird es besser, wenn die Währung sich stabilisiert hat und die richtigen Männer an die Macht kommen.«
    Das alles kam mir irgendwie bekannt vor. Doch wer diese richtigen Männer waren, wollte Kahlenberg nicht sagen. Es schien auch so klar zu sein. Sophie nickte jedenfalls.
    Erst vor ein paar Tagen, Anfang November, hatten mehrere Männer einen Aufstand versucht, eine Art Revolution in einem Bierkeller. Das Spektakel wurde kurzerhand gewaltsam von der Polizei beendet. Der Rädelsführer, ein kleiner Mann mit bellender, hoher Stimme und gestutztem Schnauzbart, wurde eingesperrt.
    Dr. Kahlenberg klatschte frohgemut in die Hände und sagte mit seiner schnarrenden Stimme: »Aber jetzt zu Ihnen, meine Gnädigste, und zum Geschäft!«
    Sophie breitete ein paar Blätter auf dem Tisch aus, auf denenLandschaften in kräftigen Farben zu sehen waren. Dr. Kahlenberg klemmte sich ein Monokel vors Auge, hob die Landschaften vom Tisch hoch und hielt sie dicht vor das runde Glas.
    »Hm!«, machte er hin und wieder, »hm, hm, hm«, als wären die Bilder köstliche Speisen, die er sich auf der Zunge zergehen ließ. Dann atmete er mehrmals tief durch und blies die Backen auf, während Sophie danebenstand und nervös auf der unterlippe kaute.
    »Ich glaube, Gnädigste, wir beiden Hübschen kommen ins Geschäft!« Der Doktor nahm sein Monokel vom Auge und strich sich grinsend über seinen Backenbart. »Ich fahre in den nächsten Tagen nach Berlin. Ich denke, da wird einiges von dem hier«, er zeigte mit einer ausholenden Geste über den Tisch hinweg, »an den Mann oder die Frau zu bringen sein.«
    Sophie ließ ihre unterlippe in Ruhe und strahlte ähnlich unerträglich wie der Doktor. Nora dagegen wurde ein wenig traurig. Die Zeichnungen waren ihr sehr ans Herz gewachsen.
    Sophie ging einen Schritt auf den schleimigen Doktor zu. »Werter Dr. Kahlenberg, dürfte ich Sie um etwas bitten?«
    »Um alles, Verehrteste, um

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