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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Dieb!«
    »Wer ist es denn?«
    »Der da!« Emilie zeigte durch die Mäntel hindurch auf einen der runden Tische.
    »Der?«, rief Leo so laut, dass Emilie ihm rasch die Hand auf die Lippen drückte.
    »Pssst!«
    Leo konnte an den Mänteln vorbei den Mann sehen. Ich nicht. Dennoch wusste ich sofort, wen er meinte: Dr. Kahlenberg.
    »Aber dem habe ja ich vorher …«, sagte Leo und verstummte plötzlich.
    »Was hast du vorher?«
    »Nichts.«
    »Erzähl es mir, oder … oder …«
    Oder was? , dachte ich.
    »Oder was?«, fragte Leo.
    »Oder ich schreie!«
    Leo zog mich langsam aus seinem Hosenbund hervor. »Ich hab dem Backenbart den Nussknacker aus dem Koffer gefischt.«
    Emilie schaute mit großen Augen und offenem Mund, alsob der Koffer ein Schwimmbecken, der Backenbart ein Hai und ich an der Angel hinge und die verloren gegangene Sparbüchse gewesen wäre.
    »Du kannst den Mund wieder zumachen. Es zieht!«
    »Das ist es!«, sagte sie. »Das ist es, Leonhard!«
    Leo hasste es, wenn Emilie ihn beim vollständigen Vornamen nannte. Niemand sagte Leonhard zu ihm, nur seine Mutter. Bei ihr hasste er es noch mehr. Außerdem wusste er nicht, was Emilie meinte, und das hasste Leo am meisten. Er guckte, als wäre er der Hai und Emilie ein Backenbart, den er gleich zum Frühstück verspeisen wollte.
    »Was ist was?«
    »Wir holen uns die Sparbüchse zurück!«
    Leo schien noch immer nicht ganz zu kapieren. Mir dagegen war alles klar. Bis auf die unbedeutende Kleinigkeit, wen Emilie mit wir meinte. Das schien sich Leo nun auch zu fragen.
    »Du meinst doch nicht etwa dich und mich? «
    »Und der da!«, sagte Emilie und zeigte auf mich.
    »Du spinnst ja!«
    »Wenn du mir nicht hilfst, verrate ich dich! Bei Else, bei Martha, bei allen!«
    »Schon gut.« Leo gab sich geschlagen.
    Else war Leos Mutter, Martha die von Emilie. Und »alle« waren die Leute, die täglich im Romanischen Café gegenüber der Gedächtniskirche ein- und ausgingen: Künstler, Schriftsteller, Maler, Journalisten, die ganze Berliner Boheme. Es war nicht bloß ein Treffpunkt, wo man Kaffee oder Limonade trinken, Zeitung lesen und plauschen konnte. Es war eine Meinungsbörse, ein umschlagplatz von Ideen und ein Treffpunkt verschiedener Künstler.
    »Und wie stellst du dir das vor?«, fragte Leo. »Wie sollen wir beide …«
    »Wir drei!« Emilie zeigte wieder auf mich.
    »… die bescheuerte Sparbüchse wieder auftreiben?«
    »Keine Ahnung.«
    Beide dachten nach.
    »Wir dürfen den Backenbart auf keinen Fall aus den Augen lassen. Uns wird schon etwas einfallen.«
    »Glaubst du?«
    »Sicher! Aber als Erstes brauchen wir ein Codewort.«
    »Ein Codewort?«
    »Ja, ein Geheimwort, damit wir uns heimlich über die Angelegenheit unterhalten können.«
    »Was für ’ne Angelegenheit?«
    »Die Sparbüchse!«
    Leo schien nicht zu verstehen. Auch ich hatte Schwierigkeiten, Emilie zu folgen.
    »Parole Sparbüchse!«, sagte sie plötzlich, als hätte ihr gerade eine grandiose Idee aufgelauert.
    »Klingt bescheuert. Wie wär’s mit Parole Sparschwein? Oder: grunz, grunz?«
    »Klingt genauso bescheuert.«
    »Parole Porzellanferkel.«
    »Ha, ha. Ich lach mich tot.«
    »Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass du alles, was ich vorschlage, dumm findest?«
    »Es ist meine Sparbüchse«, sagte Emily. »Also darf ich auch die Parole wählen.«
    »Meinetwegen.«
    Leo gab sich geschlagen. Es war nun mal das Zeitalter derneuen, starken Frauen, die den Ton angaben, auch wenn es noch kleine Mädchen waren.
    »Parole Emilie!«, sagte Emilie.
    Leo konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. »So etwas Dämliches hab ich noch nie gehört«, prustete er, aber es half nichts. Emilie blieb dabei.
    Die ganze Aktion stand von nun an im Zeichen von »Parole Emilie«!
    * * *
    Die beiden standen noch immer hinter den Mänteln und beobachteten Doktor Kahlenberg an Elses Tisch. Leos Mutter saß den ganzen Tag im Romanischen Café. Sie beschäftigte sich mit Literatur und Kunst. Oder vielmehr mit Literaten und Künstlern. Ihr Sohn trieb sich währenddessen allein herum. Im Romanischen Café, aber auch außerhalb.
    »Was macht ihr denn hier?«
    Es war ein junger Mann in einem schwarzen Anzug und mit Gel in den Haaren. In der Hand trug er ein Tablett. Es war ein Kellner, Leos Lieblingskellner, der jetzt bei ihnen stand. Er kannte Leo ziemlich gut und mochte ihn. Hin und wieder steckte er ihm ein Stück Kuchen oder einen Keks zu, denn Leo hatte immer Hunger. Ob es daran lag, dass er meistens zu

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