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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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blendete.
    Salomon verließ mit mir in der Hand die Bühne, wo er von den Leuten freudig empfangen wurde. Alle gratulierten ihm und wünschten ihm alles Gute für seine musikalische Zukunft.
    »Ein Riesentalent!«, sagte der Schnauzbart zu einem anderen Mann, der neben Salomon stand. »Wenn Ihr Junge richtig gefördert wird, kann er ein Großer werden.«
    Der Mann, offenbar Salomons Vater, hob die Schultern und sagte nachdenklich: »Die Förderung des Buben ist das eine. Die Zeiten, in denen wir leben, sind das andere. Wie die sich entwickeln, steht in keinem Kaffeesatz.«
    »In sechs Monaten ist der Spuk vorbei!«, sagte der Schnauzbart, jedoch leiser als zuvor.
    Schon wieder kommen »die Zeiten« ins Spiel , dachte ich und konnte mir nicht erklären, worüber die beiden Männer sprachen.
    * * *
    Im Foyer des Konzerthauses wurde noch gefeiert, während Salomon mich die ganze Zeit in der Hand hielt. Ein Mädchen mit braunen Zöpfen, in einem weißen Kleid und mit einem Geigenkoffer in der Hand, kam zu Salomon gelaufen und sagte: »Der sieht ja niedlich aus.« Sie meinte mich, wen sonst.
    »Willste mal halten?«
    Schon wanderte ich von Salomons Hand in die des Mädchens.
    »Ich heiße Adelheid«, sagte sie. »Und wie heißt du?«
    Während ich noch überlegte, sagte Salomon: »Nussknacker!«
    Adelheid lachte. »Ein Nussknacker, der Nussknacker heißt? Wie seltsam!«
    Salomon lachte ebenfalls. Ich fand das zwar nicht so lustig, versuchte aber trotzdem, ein heiteres Gesicht zu machen.
    »Sieh ihn dir an«, sagte Salomon. »So wie der aussieht, kann er nur Nussknacker heißen.«
    Adelheid hielt mich ganz nahe an ihr Gesicht und musterte mich ernst.
    »Wie der guckt«, sagte sie verblüfft. »Als ob er was sehen könnte.«
    Kann ich ja auch! , wollte ich sagen. Und ich kann hören, verstehen und erzählen! Aber weil mein Kiefer mit kräftigem bayerischem Holzleim verklebt war, kam kein Wort aus meinem Mund.
    Adelheid gab mich Salomon zurück. Der ließ mich den ganzen Nachmittag nicht mehr los, auch nicht auf dem Weg vom Konzerthaus bis nach Hause, was von nun an auch meinZuhause werden sollte. In der rechten Hand hielt er mich, in der linken seinen Geigenkoffer, und in der Mitte strahlte sein Gesicht wie eine Glühbirne, als wollte es den Weg weisen.
    Der Nachhauseweg führte unser Taxi durch die halbe Stadt. Salomon, seine Mutter und ich saßen auf der Rückbank, Salomons Vater vorne beim Fahrer. Es ging nur sehr langsam voran, denn viele Straßen waren gesperrt. In denen, die frei waren, ging es nur im Schritttempo voran. Die meiste Zeit standen wir.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Salomons Mutter erstaunt.
    Auf den Straßen war der Teufel los. Überall rannten Menschen durcheinander. Viele trugen braune Uniformen. Sie brüllten und hielten Transparente hoch, auf die seltsame Kreuze gemalt waren. Polizisten auf Pferden waren inmitten der Menge zu sehen. Auch Polizisten zu Fuß.
    »Eine Kundgebung«, sagte der Taxifahrer. »Die versuchen, das Volk auf ihre Linie zu bringen.«
    Hin und wieder hupte er, woraufhin manche der Braunhemden den rechten Arm nach oben reckten.
    Wen meint er mit ›die‹? , fragte ich mich. Und auf was für eine »Linie« wollen sie das Volk bringen? Salomon fragte sich offenbar dasselbe.
    »Wer sind die? «, flüsterte er eingeschüchtert zwischen den Sitzen hindurch nach vorne zu seinem Vater.
    Herr Morgenstern blickte über die Schulter auf die Rückbank. Zuerst schaute er seine Frau an, dann Salomon. Dann sagte er so leise, dass ich es kaum verstehen konnte: »Nazis.«
    Der Taxifahrer lachte laut auf, sodass alle im Auto erschraken. Dann hupte er wieder.
    * * *
    Salomon wohnte in einem mehrstöckigen Haus aus der Jahrhundertwende mit breitem Treppenaufgang, in dem es auffällig nach Bohnerwachs roch. Im ersten Obergeschoss war die Wohnung der Morgensterns. Im Erdgeschoss hatte Vater Morgenstern seine Kinderarztpraxis, was sehr praktisch war, denn die Mutter konnte dadurch hin und wieder in der Praxis mithelfen, und der Vater brauchte mittags zum Essen nur eine Treppe hinaufzugehen.
    Salomons Zimmer war halb so groß wie der Holzschnitzladen damals in Oberammergau. Außer einem Bett, einem Schreibtisch, einem Notenständer und einem Regal war es leer.
    Salomon stellte mich auf das große Regal, in dem noch ein paar Bücher standen, von wo aus ich alles sehen konnte. Bei offener Tür konnte ich in die Küche, das Wohnzimmer und auf den Flur schauen. Wenn ich mich ein wenig nach vorne

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