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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Hause!«
    »Sehen wir uns wieder?«
    »Bestimmt! In Köln oder Berlin!«
    Sie blieb stehen und winkte. Leo winkte zurück. Dann schaute er wieder aufs Meer und schien die Diamanten zählen zu wollen. Das dauerte vielleicht!
    Mir schliefen hinter dem Felsen schon die Beine ein. Emilie machte aber keine Anstalten aufzustehen. Sie wartete, bis auch Leo von den Diamanten genug hatte, dem Meer den Rücken zukehrte und langsam zum Haus des Dichters zurückschlenderte.
    * * *
    Als Leo am Abend nach Kato suchte, war sie nicht mehr zu sehen. Als er den Maler nach ihr fragte, sagte der nur, Kato wäreschon im Bett, da beide ganz früh mit dem ersten Schiff aufbrechen müssten. Die Koffer standen schon gepackt im Flur.
    Leo lag im Zimmer und konnte nicht schlafen. Er wälzte sich hin und her. Schließlich erhob er sich vom Bett und stand plötzlich vor mir.
    »Tut mir leid, Nussknacker!«
    Er nahm mich in die Hand und schlich im Schlafanzug auf den dunklen Flur. Vorsichtig öffnete er die Schnallen von einem der großen braunen Koffer, die im Flur standen. Er hob den Deckel einen Spaltbreit, schaute mich noch einmal kurz an und sagte: »Mach’s gut und grüß mir Kato!«
    Dann steckte er mich durch den Spalt in den Koffer und schloss ihn hinter mir.
    Ich lag jetzt zwischen Unterhosen, Hemden und gebrauchten Socken. Herrensocken! Herrenhemden! und Herrenunterhosen!
    Das war nicht Katos Koffer.
    Mist!

1929 – 1932, Köln und Ruhrgebiet, Deutschland
    »Herr Schmitt-Radolf! Herr Schmitt-Radolf! Was ist das denn, um Himmels willen?«
    Frau Sorge, die Haushälterin, in gesteifter weißer Bluse, mit Häubchen und schwarzem Rock, hielt mich mit zwei spitzen Fingern in der Hand, als wäre ich eine der schmutzigen Unterhosen.
    »Wo haben Sie das denn her?«, fragte der Maler erstaunt.
    »Aus Ihrem Koffer, gnädiger Herr.«
    »Aus meinem  … das ist ja  … Frau Sorge! Ich werd verrückt!«
    Die Haushälterin machte ein verdrießliches Gesicht.
    »Der gelbe Nussknacker! Frau Sorge, Sie sind ein Schatz.«
    Schmitt-Radolf küsste Frau Sorge auf die Stirn, hielt mich in der Hand und tanzte im Kreis herum, dass mir ganz schlecht wurde. Frau Sorge stand daneben und schüttelte den Kopf. Dass jemand sich so freuen konnte, einen alten gelben Nussknackerin der Hand zu halten, schien nicht nur mir, sondern auch Frau Sorge reichlich übertrieben.
    »Am Wochenende wird gefeiert, Frau Sorge! Laden Sie alle ein!«
    * * *
    »Alle« waren ganz schön viele. Um die hundert Leute drängten sich in einem riesigen Wohnzimmer, in dem ich auf einem Sockel in einer gläsernen Vitrine stand. Das Wohnzimmer war eher eine Art Halle, ein Salon in einer prachtvollen Villa. Große Bilder hingen an der Wand. Ein schwarzer Flügel stand in einer Ecke. Es gab hohe Decken, mit Stuck verziert, und Tapeten aus Stoff.
    Alles war elegant und glanzvoll. Dennoch kam ich mir auf meinem Sockel hinter den Glasscheiben vor wie in einem Gefängnis, während Leute mit Sektgläsern in der Hand und Zigaretten zwischen den Lippen gemütlich an mir vorbeischlenderten. Sie redeten, lachten und zeigten mit den Fingern auf mich und die Gemälde an der Wand.
    Auch Kato war da. Als sie mich sah, erschrak sie und fragte: »Wie kommt der denn hierher?«
    Ich hätte es ihr sagen können, doch Schmitt-Radolf kam mir zuvor. Er zeigte nach oben, als wäre ich vom Himmel gefallen, und lachte. Dann nahm er Kato an der Schulter und ließ mich in meinem Glaskasten grübelnd alleine zurück.
    Während ich gleichgültig nach draußen starrte, trafen mich neugierige Blicke von der anderen Seite der Scheibe. Furchtbar! Ich glaube, es gibt nichts Ärgerlicheres und vor allem Langweiligeres, als ein Ausstellungsstück zu sein. Hinter Glas gibt es nichts, aber auch gar nichts zu erleben. Ich war dazu verurteilt,begafft zu werden und zuzuhören, wie Besucher über mich herzogen.
    »Das ist doch keine Kunst!«, sagte eine dicke Dame in einem langen Abendkleid, wobei sie ihre Nase an die Scheibe drückte.
    »Dadaismus!«, erwiderte eine andere Frau, ähnlich dick und in einem ähnlichen Kleid.
    »Eine Frechheit ist das!«
    »Das würde ich mir nicht einmal ins Klo stellen.«
    »Tja, der Schmitt-Radolf war immer schon ein bisschen eigenartig.«
    »Und von Kunst hatte der noch nie einen blassen Schimmer.«
    »Stimmt genau! Dieses expressionistische Geschmiere an den Wänden geht ja noch, aber das hier!«
    Sie zeigten mit ihren Wurstfingern auf mich.
    »Ah, die reizenden Damen bewundern dieses einzigartige

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