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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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noch im Bett, als plötzlich im ganzen Hotel aufgeregte Schritte zu hören waren. Türen klappten. Auf den Gängen wurde getuschelt. Salomon stand auf, öffnete die Tür undblickte am Geländer vorbei zum Treppenhaus hinunter. Auf den Stufen rannten Menschen in Nachthemden, Bademänteln und Schlafanzügen umher. Sie waren unterwegs zu Madame Colettes Salon. Auch Salomon sprang jetzt die Treppe hinunter.
    Im Salon saßen die Hotelbewohner in Schlafanzügen und Nachthemden um ein kleines Radiogerät herum und lauschten dem Sprecher.
    »Deutschland ist im Krieg. Heute, am 1. September 1939 um 5 Uhr 45, haben deutsche Truppen Polen angegriffen …«
    Alle waren entsetzt. Manche schlugen sich die Hand vor den Mund. Andere weinten leise.
    »Ich wusste es«, sagte Frau Zucker. Sie trug nur ein verwaschenes langes Unterhemd, das ihr bis über die Knie reichte. »Jetzt geht es ruck, zuck. Heute Polen, morgen die Tschechen, übermorgen Frankreich und dann die ganze Welt.«
    »Ach, hör doch auf!«, sagte Herr Andres. »Das lässt das Ausland nicht zu. England, die Russen, Amerika!«
    Frau Zucker lachte spöttisch.
    »Die Russen haben einen Nichtangriffspakt mit Hitler geschlossen! Die teilen Polen jetzt auf.«
    »Was können wir tun?«, fragte Herr Blumenthal.
    »Abhauen! So schnell wie möglich. So lange es noch geht«, antwortete Frau Zucker.
    »Aber wohin?«
    »So weit weg wie möglich.«
    »Über den Teich!«, rief Dr. Zaberski.
    »Sie meinen nach Amerika?«, fragte Herr Blumenthal.
    »Ja.«
    »Dafür braucht man ein Visum, Stempel, Bescheinigungen, Geld«, sagte Frau Zucker.
    Hitler war jetzt im Radio zu hören.
    »Schalt aus!«, rief jemand.
    Das Radio wurde abgestellt.
    * * *
    Am Abend fanden sich alle wieder im Salon ein, um erneut über die Lage zu diskutieren. Salomon saß neben Anna. Sein Knie berührte ihr Bein. Er hörte die hitzigen Gespräche der anderen und war mit den Gedanken doch ganz woanders. Auch Anna schien nervös zu sein. Unter dem Tisch legte sie ihre Hand auf die von Salomon. Salomon erschrak und wurde rot. Ich sah es ganz genau. Er schwitzte, dann lächelte er. Anna lächelte auch.
    »Was gibt’s denn da zu lachen?«, fragte Frau Zucker.
    »Ach, nichts«, sagte Salomon und blickte wieder ernst.
    Anna ebenfalls.
    * * *
    An einem Vormittag, als Salomon wieder bei Anna im Zimmer saß und ihr zuhörte, wie sie auf ihrer Geige spielte, knallten die Türen auf dem Flur. Erneut war Geschrei zu hören. Genauso wie vor zwei Monaten, als der Krieg ausgebrochen war. Anna hörte sofort auf zu spielen. Beide rannten ins Treppenhaus.
    »Hitler ist tot!«, rief jemand von unten.
    »Attentat auf Hitler!«, ein anderer.
    Salomon und Anna rannten in den Salon, so schnell sie konnten. Da standen schon wieder alle anderen und lauschten dem Radiogerät, das einen Anschlag auf Hitler in München meldete. Es war Anfang November. Bei einer Kundgebungder Nazis im Münchner Bürgerbräukeller, bei der auch Hitler gesprochen hatte, war über dem Rednerpult eine Bombe explodiert, die den Bürgerbräukeller verwüstet hatte. Mehrere Menschen waren getötet worden.
    »Hitler blieb verschont«, sagte die Radiostimme. »Er hatte wider Erwarten dreizehn Minuten zuvor den Bürgerbräukeller verlassen.«
    »Das gibt’s doch nicht!«, sagte Herr Blumenthal.
    »Ausgerechnet dieser Kerl hat überlebt!«, zischte Frau Zucker.
    Das Attentat war tatsächlich gescheitert. Die Freude der Hotelgäste über den Anschlag wich schnell der Enttäuschung, dass Hitler davongekommen war.
    Ein paar Tage später wurde der mutmaßliche Täter festgenommen. Es war ein Schreiner von der Schwäbischen Alb, der erwischt worden war, als er über die Grenze in die Schweiz fliehen wollte. Er bestritt zunächst den Anschlag, doch als die Gestapo ihn folterte, gab er zu, die Bombe, die Hitler umbringen sollte, selbst gebastelt und alleine, ohne Wissen und Hilfe eines anderen, in eine Säule des Bürgerbräukellers in München eingebaut zu haben. Der Mann hieß Johann Georg Elser und gab als Tatmotiv an, dass er Hitler vernichten wollte, um ein größeres Blutvergießen zu verhindern.
    * * *
    Anfang April 1940 fielen deutsche Truppen in Dänemark ein, dann in Norwegen. Anschließend ging es Schlag auf Schlag, wie Frau Zucker es vorhergesagt hatte. Anfang Mai griff Nazideutschland die Niederlande an. Dann Belgien.
    »Jetzt sind bald wir dran«, sagte Frau Zucker.
    Wie zur Bestätigung war im Radio zu hören, dass Hitler zum Angriff auf Frankreich blies.
    Im

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