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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Krieges zu Asche zerfallen. Die Straßenbahnleitungen hingen wie Papierschlangen beim Karneval in der Luft herum. Große Krater säumten die Straßen. Autos lagen auf dem Dach, Schaufensterscheiben waren zersplittert. Es sah grauenvoll aus.
    »Ein Grund mehr, gegen diesen Wahnsinn vorzugehen!«, sagte Rosas Vater, als wir zurück in der Wohnung waren.
    Rosa, noch ganz verschlafen und zerknautscht im Gesicht, nickte.
    * * *
    Ein paar Tage später, es war an einem Abend im Mai, kam Rosa aufgeregt in ihr Zimmer gerannt und rief: »Jetzt geht’s los!«
    Was losging, wollte sie nicht sagen. Auch nicht, als ich mich von meiner neugierigsten Seite zeigte und mein Anblick ein einziges Fragezeichen sein musste, sodass Rosa schließlich nichts anderes übrig blieb, als zu fragen: »Na, willst du mit?«
    Die Antwort konnte ich mir sparen. Schon steckte ich in ihrer Jackentasche.
    Unter ihrem Pullover knisterte es eigenartig. Mir war nicht ganz klar, was Rosa vorhatte. Als wir gerade gehen wollten, klingelte es. Es war Frau Weniger.
    »Na komm, wir müssen!«
    Draußen, zwei Straßenecken weiter, wartete Dr. Rudolf. Wir fuhren mit der Straßenbahn in die Stadtmitte. Am Hackeschen Markt stieß ein junger Mann zu uns. Er war Student und nicht viel älter als Rosa. Er hieß Adam Hinkel.
    Kurze Zeit später trennten sich unsere Wege. Dr. Rudolf ging mit Frau Weniger weiter, Rosa ging mit Adam. Alle schlugen die gleiche Richtung ein und gingen in Sichtweite fünfzig bis hundert Meter voneinander entfernt.
    Langsam wurde es dunkel. Die Straßen waren nur spärlich von Straßenlaternen beleuchtet. Hin und wieder fehlten ganze Häuser, oder hässliche Ruinen säumten den Weg. Adam und Rosa sprachen kaum. Einmal fragte sie: »Bist du aufgeregt?«
    Worauf er nur kurz und trocken »Ja!« sagte.
    »Hast du Angst?«
    »Ja.«
    Sie hielten sich an der Hand wie ein Liebespaar, obwohl sie auf mich gar nicht verliebt wirkten. Eher ängstlich. Rosa blickte sich immer wieder um, und Adam spähte aus den Augenwinkeln ständig zur Seite, auf Hauswände, aufgestapelte Sandsäcke, Schaufenster und Laternenpfähle.
    Plötzlich blieben beide wie auf ein verabredetes Zeichen vor einer Litfaßsäule stehen.
    »Mach schon!«, sagte Rosa leise.
    Adam stellte sich mit dem Rücken an die Säule, auf der große, hetzerische Plakate prangten. Judentum ist organisiertes Verbrechertum , war auf einem zu lesen. Auf einem anderen stand: Nicht du bist der Maßstab, sondern die Front!
    Rosa stellte sich ihm zugewandt direkt vor Adam. Dabei schaute sie immer wieder nach rechts und links. Niemand war zu sehen. Sie umarmte ihn, drückte sich fest an ihn. Beide standen ganz dicht beieinander.
    Was soll das jetzt? , dachte ich, als Rosa plötzlich Adam küsste. Vielleicht sind sie doch verliebt? Während sie sich küssten,nestelte Rosa an ihrem Pullover herum, zog einen Zettel darunter hervor und klebte ihn hinter Adams Rücken an die Litfaßsäule. Adam drückte daraufhin seinen Rücken fest gegen die Säule, damit der Zettel gut pappte. Sofort beendete Rosa die Knutscherei.
    »Fertig. Weiter.«
    Rosa löste sich von Adam, und Adam stieß sich von der Litfaßsäule ab. Beide gingen Händchen haltend weiter. Wo Sekunden zuvor noch Adams Rücken gewesen war, hing jetzt der Zettel mit dem Appell »Stoppt die Naziherrschaft!« genau auf der Stirn des Soldaten von »Nicht du bist der Maßstab!«
    * * *
    Ganz schön mutig , dachte ich, als die beiden schon wieder an einer Litfaßsäule lehnten und ihre Lippen aufeinanderdrückten. Rosa wollte gerade wieder den Zettel unter ihrem Pullover hervorziehen, als Adam »Da kommt jemand!« flüsterte.
    Es klang komisch. Kein Wunder, mit zusammengepressten Lippen.
    Rosa erschrak. Der Zettel glitt ihr aus der Hand. Er schwebte wie ein Blatt im Wind zu Boden und blieb auf dem Pflaster liegen, mit der beschriebenen Seite nach unten. Schritte waren zu hören.
    »Verdammt!« Was bei Rosa ebenso komisch klang. »Was sollen wir machen?«
    »Küssen! Heftiger küssen!«, flüsterte Adam.
    Die Schritte kamen näher, wurden lauter und hielten plötzlich an. Rosa und Adam schlossen die Augen. Jetzt ist alles aus , dachte ich.
    »Ihr habt was verloren.«
    Rosa und Adam drehten sich von der Litfaßsäule weg und wandten sich dem Mann zu. Der trug eine Uniform und am Arm eine Hakenkreuzbinde. Nun bückte er sich nach dem Zettel, hob ihn auf und reichte ihn den beiden. Noch immer zeigte die beschriebene Seite nach unten.
    Nein , dachte ich, tu’s

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