Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
ein winziges Auto mit drei Rädern.
Fred und Karl schüttelten den Kopf.
»Glück gehabt! Die Zeit ist nämlich abgelaufen.«
Der Polizist zeigte auf eine Parkuhr, bei der tatsächlich ein rotes Schild zu sehen war. Wie Spint es beschrieben hatte, stand dort, dass die Parkzeit abgelaufen war.
»Und bei abgelaufenen Parkuhren gibt es einen Strafzettel.« Der Polizist nahm einen Block, kritzelte etwas darauf und steckte einen Zettel unter den Scheibenwischer des Kabinenrollers.
»Schönen Tag noch, meine Herren!« Der Mann ging weiter, von Parkuhr zu Parkuhr.
Fred und Karl blieben staunend zurück.
Wieder zu Hause, versteckten sie die Geldscheine, die mittlerweile in den Schuhen feucht geworden waren, hinter einem Querbalken in Spints Scheune.
»Für später!«, sagte Fred.
»Für bessere Zeiten«, fügte Karl hinzu.
* * *
»Siehst du was?«
»Noch nicht. Ich muss noch einen Ast höher.«
Fred und Karl kletterten den großen Kastanienbaum hinauf, der auf dem Friedhof neben dem Pfarrhaus stand. Ich steckte in der umhängetasche und war wie immer mit dabei. Es war dreißig Minuten nach dem Abendgottesdienst und bereits dunkel. Fred und Karl waren rasch aus ihren Ministrantengewändern geschlüpft und hatten sich unbemerkt davongemacht. Pfarrer Mühlacker hatte es offenbar ähnlich eilig, er saß nämlich schon im zweiten Stock des Pfarrhauses auf seinem Sofa.
»Da ist er!«, flüsterte Karl. Auf einem Ast stehend, konnte er den Pfarrer durch das Fenster hindurch erkennen.
»Und?«
»Er hat Unterhosen an!«
»Nein!« Fred schmunzelte.
»Ich schwör’s! und ein Trägerhemd. Sieht komisch aus.«
Pfarrer Mühlacker in unterhose und Trägerhemd. Fred lachte.
»Und, guckt er?«, fragte Fred ungeduldig.
»Weiß nicht. Ich muss noch weiter rüber.« Karl hangelte sich auf dem Ast entlang.
»Pass auf, der ist dünn.«
Karl rutschte auf dem Ast noch ein Stück weiter in Richtung Fenster.
»Siehst du was?«, drang es von unten zu Karl hinauf.
»Ja. Er guckt sich irgendwas an.«
»Und was?«
»Er sitzt vor einem Kasten, auf dem ein Mann in ein Mikrofon spricht«, antwortete Karl mit Blick in das Wohnzimmer von Pfarrer Mühlacker.
»Das ist ein Fernseher!«
»Von wegen, für Wunder ist nur der liebe Gott zuständig.« Fred murmelte es vor sich hin. Dann wieder an Karl nach oben gerichtet: »Was siehst du noch?«
»Schau es dir doch selbst an.«
»Sag schon«, drängte Fred, der noch immer auf einem Ast weiter unten stand. »Kannst du was hören?«
»Natürlich nicht , wenn du ständig dazwischenquatscht.«
Fred hielt von nun an den Mund. Leise drang durch das halb geöffnete Fenster aus dem zweiten Stock eine blecherne Stimme, die aber nicht bis zu Fred nach unten drang.
»Der Reporter zeigt auf einen riesigen, schneebedecktenBerg«, flüsterte Karl. »Er sagt, dass da zum ersten Mal ein Mensch hochgestiegen ist. Der Berg heißt Mount Everest, und der Bergsteiger heißt Edmund Hilary.«
»Irre! Der traut sich was!« Fred war beeindruckt.
»Jetzt ist der Berg weg, und der Reporter auch.«
»Mensch, Karl, über achttausend Meter!« Fred war begeistert. »Und der ist da hochgestiegen!«
»Ganz schön bekloppt.« Karl konnte die Begeisterung nicht teilen.
»Nee, das ist fantastisch.«
»Was?« Karl tippte sich an die Stirn.
»Karl, das wär’s!«
»Was wär’s?«
»Mal so ’nen Berg besteigen!«
»Was?« Jetzt lachte Karl leise. »Aber du hast ja schon Muffensausen, die Kastanie raufzuklettern.«
»Ich meine ja auch keinen richtigen Berg.«
»Hä?« Karl schien Fred nicht folgen zu können. Ich gebe zu, auch ich hatte Schwierigkeiten.
»Was denn für einen? ’Nen Sandhaufen?«
»Quatsch. Einen Berg im übertragenen Sinne, verstehst du?«, sagte Fred.
»Nee«, sagte Karl. »Verstehe ich nicht.«
»Ich meine, wir sollten mal irgendetwas Außergewöhnliches tun, irgendwas Verrücktes. Wir sollten uns auch mal was trauen!« Fred dachte nach, schien aber auch nicht genau zu wissen, was er eigentlich wollte. »Wie dieser Hilary.«
»Spionieren reicht dir wohl nicht, was?«
Es war eine helle Stimme, die wie ein Pfeil vom Boden her zu ihnen hochschnellte. Und traf.
Fred und Karl erschraken. Karl so sehr, dass er beinahe vom Ast gerutscht wäre. Beide blickten nach unten, konnten die Person, die nahe am Stamm der Kastanie stehen musste, aber nicht sehen. Dafür war es schon zu dunkel. In diesem Moment schlug die Kirchturmuhr neun Mal. Als der letzte Klang verhallt war, peitschte die Stimme
Weitere Kostenlose Bücher